Donnerstag, 19. Oktober 2023

Erfinden heißt erinnen

Ein Interview mit Autorin Anne Gesthuysen

Sie war von 2002 bis 2014 das Gesicht des ARD-Morgenmagazins. Ihr erstes Buch "Wir sind doch Schwestern" war 2012 ein echter Überraschungserfolg und führte zeitweilig die Bestsellerlisten an. Mit dem aktuellen Buch "Wir sind doch schließlich wer" ist Anne Gesthuysen nun auf Lesereise und im Rahmen des Göttinger Literaturherbstes am 2. November zu Gast im Kurhaus Bad Lauterberg.

Frau Gesthuysen, wie weit werden Sie in der Öffentlichkeit immer noch als die Moderatorin des Morgenmagazins wahrgenommen?

Nach 9 Jahren wird es langsam weniger. Aber es passiert immer noch, dass Menschen aus heiterem Himmel fragen: „Warum machen Sie eigentlich nicht mehr das Morgenmagazin?“

Die Antwort lautet nach wie vor: Ich habe das Morgenmagazin wirklich geliebt. Aber jede Nacht um 1 Uhr aufstehen, das habe ich irgendwann gehasst.

Wie macht sich dies während ihrer Lesungen bemerkbar?

Ehrlich gesagt freut es mich, dass wohl niemand mehr zu den Lesungen kommt, um die ehemalige Morgenmagazin-Moderatorin kennenzulernen. Die Menschen kommen tatsächlich wegen der Bücher, und das freut mich ungemein.

Anne Gesthuysen zeigt: Mit
Optimismus geht es besser.

Foto: Monika Seidelmann-
www.monika-seidelmann.de

Dennoch sind Sie weiterhin im Fernsehen aktiv. Sind Schreiben und Moderieren für Sie konkurrierende Tätigkeiten oder ergänzen sich diese beiden Tätigkeiten?

Schreiben ist ein Marathon. Das dauert und man muss dranbleiben, man hat schwere Momente, in denen man am liebsten aufhören möchten, aber dann geht es wieder weiter und irgendwann kommt das Runner´s High und man saust durchs Ziel. Das Ergebnis ist langlebig.

Moderieren ist dagegen die Kurzstrecke. In dem einen Moment musst man auf der Höhe sein und alles geben. Einen Moment des Durchhängens kann man sich nicht erlauben. Aber kaum ist die Sendung beendet, ist die Moderation auch schon vergessen.

Beides ist toll, manchmal ist beides schrecklich, ich mag beides wirklich gern.

Wann ist ihr Lampenfieber größer? Wenn Sie vor einer Kamera stehen oder wenn Sie live bei einer Lesung auftreten?

Auf jeden Fall bei einer Lesung. Wenn es den Menschen gefällt oder nicht gefällt, dann sieht man es in Gesichtern und Reaktionen. Die Kamera reagiert nicht.

Worin besteht für Sie der Zauber einer Lesung? Was reizt Sie, dem Publikum direkt ausgeliefert zu sein?

Ich schreibe die Bücher für das Publikum. Klar ist bei den ersten Lesungen die Angst groß, die Szenen, die ich vortrage, könnten nicht gefallen.

Aber wenn die Menschen mitgehen, mitlachen, mitleiden und ich merke, dass ich sie berühre, dann ist das ein geradezu erhebendes Gefühl.

Ihre ersten Romane waren von der eigenen Biografie geprägt. Inwieweit trifft dies für „Wir sind doch schließlich wer“ zu?

Auch dieser roman spielt am unteren Niederrhein, da wo ich aufgewachsen bin und wo ein Teil meiner Familie immer noch lebt. Viele der Geschichten, die Anna von Betteray als Kind erlebt, sind „meine“ Geschichten. Außerdem gibt es für die meisten Personen in den Büchern reale Vorbilder. Der frühere Verleger von Kiepenheuer und Witsch hat mal gesagt: Erfinden ist Erinnern.

Der Roman spielt in ihrem Heimatort. Ist dies nicht gefährlich, weil es immer jemanden gibt, der sich selbst erkennt, ertappt und auf den Schlips getreten fühlt?

Ich glaube viele Menschen können sich selbst erkennen oder gar ertappt fühlen. Ich beschreibe ja Menschentypen. Aber auch wenn sie Fehler und Charakterschwächen haben, ich habe ein Herz für die meisten Figuren, die ich in meinen Büchern beschreibe. Insofern darf sich jeder, der sich ertappt fühlt, gemocht fühlen.

Lebensbejahung ist der Tenor Ihrer Bücher. Inwieweit kommt man mit einer ordentlichen Portion Optimismus besser durch diese schweren Zeiten?

Als Journalistin schaue ich manchmal in die Welt und bin schockiert, wie sich gerade vieles zum Schlechten zu wenden scheint. Aber durch Pessimismus ist ja noch nie etwas besser geworden. Durch Optimismus schon. Wenn Menschen daran glauben, dass sie gemeinsam etwas Besseres schaffen, ist die Chance auf Gelingen ungleich größer, als wenn man gar nicht erst anfängt.

Wie lange müssen wir noch auf den nächsten Gesthuysen warten?

Wenn nichts dazwischenkommt, könnte im nächsten Herbst eine weitere Geschichte mit Anna, Freddy, Martinchen und Tante Ottilie erscheinen. Ich arbeite daran.

Vielen Dank für ihre Antworten.


"Wir sind doch schließlich wer" - eine Geschichte über einen kranke Pastor, ehrgeizige Frauen und allgemeinen Standesdünkel. Der Roman bei KiWi  


"Wir sind doch schließlich wer" - Anne Gesthuysen liest am 2. November im Kurhaus Bad Lauterberg daraus vor. Karten dafür gibt es beim Göttinger Literaturherbst




Mittwoch, 3. Mai 2023

Bloß die Ampel überleben

Interview mit Günther, dem Treckerfahrer

Dietmar Wischmeyer gehört zu meinen liebsten Gesprächspartnern. Nicht nur, dass er eine Legende unter den deutschen Humoristen ist. Ein Gespräch mit ihm gewinnt immer eine Tiefe, von der die meisten seiner Kolleginnen und Kollegen sehr weit sind entfernt sind. Daher war ich natürlich sehr erfreut, als sich erneut die Chance zum Interview ergab. Anlass war sein Auftritt als Günther, der Treckerfahrer, in Osterode. Ich sprach mit ihm über den Schlager der 70er Jahre, Brandgefahr und ländliche Rituale.


Herr Wischmeyer, warum kommt Günther, der Treckerfahrer, erst jetzt auf die Bühne?

Aus inhaltlichen und methodischen Gründen. Günther ist bisher nur gelegentlich in meinen Shows aufgetreten, denn wir hatten bisher kein abendfüllendes Programm für ihn. Zudem kann ich nicht 120 Minuten Stakkato reden und das Publikum nicht so lange Stakkato hören.

Aber nun haben wir mit dem Landleben ein Thema gefunden, mit dem man einen ganzen Abend füllen kann und wir haben mit der Jahreshauptversammlung eine Methode gefunden, die vielen aus dem realen Leben bekannt sein dürfte. Bei „Jahreshauptversammlung“ tritt Günther zwar als Hauptredner auf, aber ich werde von einem Kollegen unterstützt, der musikalische Intermezzi einstreut. Das entlastet mich und das Publikum deutlich.


Wie heißt der Partner?

Dargeboten werden die Einspieler von Heinz Vukovar und dem „European Sound Machine Orchestra“.


Es ist angerichtet.
Foto: FSR
Das klingt nach Schlager der 70er Jahre und Disco Fox der 80-er Jahre. Liege ich da richtig?

Ja. Es wird eine Persiflage auf beides. Musikalisch ist es etwas, was durchaus in den Rahmen einer ländlichen Jahreshauptversammlung passen würde. Wenn man wollte, könnte man sicherlich dazu tanzen. Aber die Stadthalle ist zum Glück bestuhlt und das wird uns vor einigen Peinlichkeiten bewahren.


Wo lagen die Herausforderungen, ein 90 Sekunden-Radio-Programm in ein 90 Minuten Abendprogramm umzuwandeln?

Die Themen sind andere. In meiner täglichen Kolumne bei radio ffn widme ich mich der Tagespolitik. Gerade hatten wir das Thema „Schwangere Lehrkräfte dürfen in den Präsenzunterricht zurückkehren“. Das ist zu speziell und auch zu kurzlebig. In einer paar Wochen erinnert sich niemand daran und ich kann das Programm nicht täglich umschreiben, um neue Themen einzubinden.

Aber mit dem Landleben haben wir ein umfassendes Thema gefunden. Schließlich betrachten wir das Leben in der Provinz umfassend von der Wiege bis zur Bahre. Dazu kommen Alltäglichkeiten wie Hochzeit, Vereine, Landwirtschaft, Schützenfest und mehr. Also das komplette Landleben wird vertikal und horizontal durchleuchtet.


Welches ländliche Ritual gefällt Dietmar Wischmeyer am besten?

Das Ritual der spontanen Flasche Biers. Egal was du machst, aber kaum stehst du draußen und schneidest für andere einsichtig die Hecke, setzt Pfähle ober betonierst die Einfahrt, schon bilden sich kleine Gruppe, irgendjemand hat auch schnell eine Flasche Bier zur Hand und irgendwann kommt auch ein Grill dazu und so entstehen die spontansten Feten. Das sind mir die allerliebsten, denn sie sind eben nicht ritualisiert und meist auch die witzigsten.


Welches ländliche Ritual mag Dietmar Wischmeyer gar nicht?

In seiner Urform im Festzelt hat das Schützenfest noch einen gewissen Charme, aber seitdem es immer häufiger in Dorfgemeinschaftshäusern stattfindet, ist es überflüssig. Hier fehlt einfach die gesamte sinnliche Erfahrung aus den besonderen Gerüchen eines Zeltfestes.


Leben auf dem Lande ist wieder hip. Werden die Landbewohner von den Zugezogenen bedroht

Stadtflucht, Landflucht. Das ändert sich wöchentlich und für mich ist das in erster Linie eine Frage der medialen Aufmerksamkeit. Außerdem wird das wirkliche Land nicht so sehr von Zuzüglingen beglückt, sondern die Randgebiete der Städte, also den Speckgürtel. Das sind Leute, die vor der Unwirtlichkeit der Innenstädte fliehen, denn die sind ja tot. Also fliehen sie in die Außenbezirke. Ich selbst wohne so richtig auf dem flachen Land und dort ist es kein Thema.

Außerdem wäre es zu begrüßen, denn es stählt den Lobbyismus des Landes, wenn darin geübte Personen auf das Land ziehen. Im Augenblick findet eher ein Imperialismus der Stadtbewohner gegen die Landbewohner statt. Die Stadt wird immer grüner und das Land wird immer industrialisierter. In den Städten entstehen immer mehr Grünanlagen und die Ackerflächen werden mit Photovoltaik-Anlagen zugepflastert. Wenn sich Leute dagegen wehren, ist das in Ordnung.


Sind Stadtbewohner zur Jahreshauptversammlung zugelassen?

Ja natürlich. Die Zuschauer müssen sich nicht ausweisen und außerdem sind 50 Prozent der Stadtbewohner ehemalige Landbewohner. Das sind mit die Liebsten, denn die haben einen sentimentalen Blick auf das Leben auf dem Land. Die Jahreshauptversammlung ist kein Programm, dass das aktuelle Landleben gezeigt. Vieles, von dem ich erzählen werde, ist längst vorbei, wie zum Beispiel die klassische Hochzeit. Das Programm ist eher ein Blick auf das Landleben, wie es einmal war. Daran können sich die ehemaligen Landbewohner ganz besonders gut erinnern.

Das Landleben unterscheidet sich nicht mehr so sehr von der Stadt. Auch auf dem Land kommt der Amazon-Mann dreimal am Tag. Die Glasfaser liegt bis ins Wohnzimmer und die Funkverbindung funktioniert genauso gut: Die Abwesenheit von staatlich geförderten Opernhäusern wird von den meisten Landbewohnern gar nicht als Manko empfunden.


Ein Mann, ein Wort,
ein Lanz.
Foto Jörg Kyas/FSR
Wird Günther mit dem Lanz Bulldog vorfahren?

Das würde ich gern machen, dass ist aber leider verboten. Zum letzten Mal habe ich das für einen Auftritt im Theater am Aegi in Hannover gemacht, das ist mehr als 20 Jahre her und seitdem wurden die Vorschriften verschärft. Es geht wegen der Brandgefahr nicht, wegen der Statik nicht und außerdem ist die Abgasbelastung so hoch, dass noch nicht einmal 20 Tuningprogramme von VW hier Abhilfe schaffen könnten. Mit einer Lanz-Attrappe, das wäre mir zu doof. Aber ich könnte es mal mit einem Lastenfahrrad versuchen.


Wann rüstet Günther, der Treckerfahrer, auf E-Mobilität um?

Nein, auf keinen Fall. Das ist für Günther und die Landwirtschaft keine realistische Perspektive. Das Modernste, was ich neulich auf der Agritechnica in Hannover gesehen habe, waren Gasturbinen. Den Tesla für den Landwirt, denn wird es aus meiner Sicht nicht geben. 


Traditionell ist Günther, der Treckerfahrer, im Radio. Nun kommt er auf die Bühne. Wann eröffnet Günther seinen YouTube-Kanal und wird Influencer?

Was soll ich den influencen? Influencer leben davon Produkte zu platzieren? Was soll ich denn platzieren? Der Landwirt ist als Zielgruppe für Influencer nicht besonders interessant. Was sollte ich denn ins Bild rücken? Einen Grubber oder einen Acht-Schar-Pflug? Melkfett könnte ich noch anpreisen. Das wäre es auch schon.

Auch Podcast kommt für Günther nicht infrage. Dafür ist die Figur nicht modern genug.


Ist der Harz für Dietmar Wischmeyer immer noch ein Quell der Inspiration?

Meine Einstellung dieser Region gegenüber ist generell positiv, aber Günther, der Treckerfahrer, hat keine Berührungspunkte mit dem Harz. Diese Figur ist in einer landwirtschaftlich geprägten Region wie etwa dem Emsland angesiedelt. Das ist der Harz nun bestimmt nicht.


Zum Abschluss noch eine generelle Frage: Sind diese Zeiten nicht dankbare Zeiten für Satiriker?

Eigentlich schon, denn die Politik, die in Deutschland läuft, konnte ich mir in meinen schlimmsten Träumen nicht ausdenken. Nehmen wir doch mal die ehemalige Verteidigungsministerin Lambrecht, eine der unfähigsten Personen auf diesem Posten in den letzten Jahrzehnten. Unter ihr hat nichts geklappt und trotzdem wird sie mit dem Großen Zapfenstreich verabschiedet, der höchsten Ehrenbekundung der Bundeswehr. Da fragt man sich schon, wer hier wem karikiert. Lambrecht die Bundeswehr oder die Bundeswehr Frau Lambrecht?

Solche „Clash of Cultures“ gibt es immer häufiger. Im letzten Herbst haben Scholz und Habeck Flüssiggasterminal eröffnet, die mit vielen Milliarden Euro erstellt worden und nun sollen die Heizungen, für die das Flüssiggas bestimmt ist, abgeschafft werden. Das versteht kein Mensch mehr.

Ich habe mit der Bundesregierung abgeschlossen und mein Bestreben besteht darin, bis 2025 zu überleben. Vielleicht lasse ich mir dann ein T-Shirt bedrucken mit „I Survived the Ampel“.






Donnerstag, 13. April 2023

Auch wir müssen uns um schmutzige Socken kümmern

Kim & Roy verabschieden sich aus der Öffentlichkeit

Mit bürgerlichen Namen heißen sie Lothar und Thomas Finze. Bekannter sind sie als das Travestie-Duo „Kim & Roy“. Gemeinsam haben sie vieles geleistet für die Anerkennung homosexueller Lebensgemeinschafen und Ehen. Am 15. April verabschieden sie sich nach 33 Jahren von der Bühne. Ich sprach mit ihnen über Widerstände, Erfolge und Freundschaften. 


Was war schwerer? Anfangen oder aufhören? 

Lothar: Der Anfang war eindeutig leichter, trotz einiger Widrigkeiten und der hohen Investitionen. Mein Vater hat uns gewarnt, dass wir nicht vorsichtig umgehen sollen mit dem Geld. Thomas hat die Kleider genäht und es war ein riesiger Aufwand, die Musik zu den einzelnen Programmen auf die Kassetten zu bekommen. Aber die Begeisterung hat uns getragen.

Mein Vater ist dann aber unser größter Fan geworden. Er hat bis tief in die Nacht gewartet, um uns nach jedem Auftritt zu fragen wie es gelaufen ist. 


Thomas (hi.) und Lothar Finze und ein
Strauß roter Tulpen.
Foto: Thomas Kügler 
Wo fand der erste Auftritt statt? 

Lothar: Das war in Lasfelde in einer Garage bei einer Geburtstagsfeier. Die Gastgeberin von damals schaut immer noch einmal vorbei und fragt, ob wir uns noch daran erinnern können.


Wann kam der Entschluss, auf die große Bühne zu gehen?

Thomas: Bis 1998 haben wir die Travestie nebenberuflich gemacht neben der Gastronomie. Dann hatten wir die Möglichkeit, uns selbstständig zu machen. Weil wir davon ausgegangen sind, dass es mit der Travestie nicht so weitergeht, dass die Nachfrage irgendwann nachlässt, haben wir das Schlosscafé in Herzberg übernommen. 

Lothar: Das Erstaunlich war aber, dass es mit der Travestie doch so fantastisch weiterging. Die Leute haben immer wieder und immer wieder nachgefragt „Könnt ihr nicht...?“. Also haben wir Gastronomie und Travestie parallel gemacht. Manchmal bin ich direkt aus der Küche auf die Bühne gegangen. 


Kann es ein größeres Lob geben?

Lothar: Nein. 


Was hat den Erfolg vom Kim & Roy ausgemacht?

Thomas: Der direkte Draht zum Publikum, die Kommunikation mit unseren Gästen. Es gibt Künstler, die machen ihre Programme konsequent, unabhängig davon, wer im Parkett sitzt. Das war bei uns nie so.  Wir gehen immer auf das Publikum.

Der zweite Grund ist das Niveau. Wir haben weitestgehend auf Sprüche unterhalb der Gürtellinie verzichtet

Lothar: Zudem haben wir eine klare Rollenteilung. Thomas ist eher der Comedian mit einer Portion Selbstironie und ich bin für die nachdenklichen Teile zuständig. Wir Travestiekünstler sind ganz normale Menschen mit alltäglichen Problemen. Auch wir müssen uns um Dinge wie schmutzige Socke kümmern. 


Wie groß ist die Chance auf ein Comeback? 

Thomas: Null. Nach dem 15. April ist definitiv Schluss. Unser Publikum soll sagen ‘Schade, dass sie gehen“ und nicht ‘Es ist Zeit, dass sie gehen.“


Warum gibt es die Abschiedsgala?

Lothar: Ich stehe schon seit einiger Zeit nicht mehr auf der Bühne. Nun feiere ich in diesem Jahr meinen 70. Geburtstag und will mich mit einer großen Show und Pomp verabschieden.

Bild aus alten Tagen
Foto: Carte Rouge


Sehen sich Kim & Roy als Pioniere?

Lothar: Das sind wir definitiv. Aber auch wir haben dazugelernt, haben gesehen, dass es an vielen Stellen gar nicht die Widerstände gab, über die wir uns vorher Gedanken gemacht haben. Wir haben ab er auch oft genug erlebt, dass Zuschauer, also männlich Zuschauer, nach der Show zu uns kamen und sic bedankt und sie gerne wiederkommen werden 

Thomas:  Unser Projekt eines Cabaret in Hannover ist wegen eines Formfehlers unseres Maklers gescheitert. Die Stadtverwaltung hat uns die Konzession verweigert. Also haben wir das Carté  Rouge eben in Badenhausen eröffnet. Es wurde ein Erfolg, weil die Menschen auch in die Provinz fahren, wenn sie wissen, dass es gut ist, was ihnen dort geboten wird.


Was wird bleiben?

Thomas: Die Gewissheit, dass die Jahre auf der Bühne ein toller Teil meines Lebens bleiben werden. Ich werde auch die Akzeptanz für unsere Kunst in Erinnerung behalten und die Tatsache, dass wir gerade als Überraschungsgäste viele davon überzeugen konnten, dass Travestie nichts anrüchiges ist.

Lothar: Das Carté Rouge ist ein Teil unseres Vermächtnis und besonders stolz sind wir auf Ricky, unser künstlerisches Ziehkind. Er oder sie, je nachdem, ist ein hochwertiger Travestiekünstler geworden. Das war ein langer und harter Prozess, denn anfangs haperte es durchaus im musikalischen Bereich.
Aber es hat sich gelohnt und im Laufe der Jahre hat sich das Verhältnis in Detailfrage gedreht. Deswegen sind wir besonders froh, dass Ricky am 15. April die Moderation übernimmt.


Was wird an persönlichen Bindungen bleiben?

Lothar: Wenig. Aber das ist ganz normal, denn wir alle hab en zwar viele Bekanntschaften und nur wenige echte Freunde. Diese wenigen Freundschaften werden von uns weiterhin gepflegt.


Vielen Dank für das Gespräch.




Donnerstag, 23. März 2023

Der Rennsport hat mich Demut gelehrt

Orange vorne - Interview mit dem Macher von Jägermeister Racing

Interessante Menschen lauern überall und Eckhard Schimpf traf ich in Einbeck im PS.Speicher. Er hatte jahrelang eine dreifache Funktion: Journalist, Rennfahrer und Chef von Jägermeister Racing. Im Interview konnte er mit unbekannten und überraschenden Details aus dem internationalen Rennsport aufwarten.

Herr Schimpf, wie viel Benzin haben Sie noch im Blut? Bemisst sich das in Promille oder in Prozent?

Auf jeden Fall noch viel. Ein Leben ohne Autos kann ich mir immer noch nicht vorstellen. Ich habe ein Leben voller Motoren geführt.

Wie sind Sie zum Automobilsport gekommen?

Über den Umweg des Motorradsports. Ich war 1948 als Zehnjähriger mit meiner Schwester beim Prinzenparkrennen in Braunschweig und wir hatten ein eindrucksvolles Erlebnis mit einem DKW-Motorrad. Ich war von diesem lauten Teufelsding und seinen Ausdünstungen völlig fasziniert. Als ich das Motorrad mit meiner Schwester zusammen in das Fahrerlager schieben durfte, da habe ich mich infiziert und beschlossen, Rennfahrer zu werden.

Genau dieses Motorrad hat später durch Zufall den Weg in meine Sammlung gefunden. Es ist ein sehr seltenes Modell, eine DKW 250 Kompressor. Ordentlich restauriert erinnert mich die Maschine immer daran, wie alles angefangen hat.

Wie sind Sie dann von zwei auf vier Räder umgestiegen?

Das lag an meinem Freund Kurt Ahrens junior und vor allem an seinem Vater. Beide fuhren Rennen und ich lungerte jeden Abend in deren Garagen rum. Da standen zig Motorräder herum und auch Lotus, Cooper und Alfas. Es war ein Paradies.

Eines Abends fragte mich Kurt Ahrens Senior ‚Na willste auch mal fahren? Dann steig ein‘. Natürlich wollte ich und er stellte mir einfach so einen Lotus zur Verfügung. Später hat er mir einen Cooper Cosworth geliehen. Aber als ich mit dem Wagen schwer abgehoben bin, war es erst einmal vorbei.

Wie ging es weiter?


Ich hatte kein Geld und habe mich so durchgehangelt, war mal hier und mal dort Co-Pilot. Den Traum, regelmäßig Rennen fahren zu können, konnte ich nicht umsetzen. Schließlich hatte ich als Sportjournalist immer Sonntagsdienst und die Rennen finden nun einmal am Sonntag statt. Erst als ich eine andere Aufgabe bei der Braunschweiger Zeitung bekommen hatte, ließen sich Schreiben und Fahren besser vereinbaren.

Journalist, Rennfahrer und Motorsportmanager. Was war ihr Hauptbetätigungsfeld?

Eindeutig Journalist und das bin ich auch heute immer noch. Die anderen Aufgaben konnte ich nur erledigen, weil mein damaliger Chef mindestens eine schützende Hand über mich gehalten hat. Ich musste ihm aber versprechen, die Arbeit irgendwann nachzuholen. Da ich gelegentlich immer noch für die Braunschweiger Zeitung schreibe, löse ich das Versprechen jetzt ein.

Wie kam es dann zu Jägermeister Racing?

Mein Cousin Günter Mast ist dafür verantwortlich. Ich wollte 1972 die Rallye Monte Carlo fahren, hatte schon ein Auto, aber kaum Geld. Also habe ich Günter gefragt, ob er mit 500,- DM leihen kann. Er sagte ‚Ich gebe dir 1.000, wenn du für Jägermeister Werbung fährst‘. 

Das war erstmals erlaubt und so kam es zu Jägermeister Racing. Wir landeten schon in dem Jahr einen echten Coup, weil wir den Ex-Weltmeister Graham Hill verpflichten konnten. Er fuhr auch gleich in einem Brabham mit Hubertushirsch seinen letzten großen Sieg ein. 1972 in Monza war das.

Den Wagen von damals haben wir auch per Zufall wiederentdeckt. Der ist nun komplett restauriert und wartet auf seine ersten Testkilometer. 

Wie groß war ihr Stab bei Jägermeister Racing?

Ich war nie offiziell Chef von irgendetwas. Ich war der Ideengeber. Entschieden haben die Marketingabteilung und der Vorstand. Die haben aber meist das abgenickt, was ich vorgeschlagen habe. Es war eine erfolgreiche Zeit, die nur zu Ende gegangen ist, weil im Jahr 2000 das Werbeverbot für Alkohol im Rennsport kam.

Aber ein Budget hatten Sie schon?

Doch, das hatte ich und es betrug in etwa 350.000 DM pro Jahr. Aus heutiger Sicht ist das lächerlich, aber es hat sich vieles im Rennsport geändert. Ich habe früher Verträge per Handschlag besiegelt. Heute muss man mit vier Anwälten verhandeln bevor überhaupt ein Papier erstellt wird, das man dann unterzeichnen könnte.

Was haben Sie aus dem Rennsport gelernt?

Vor allem erst einmal Demut. Rennen fahren ist eine hohe Kunst und man kommt schnell an seine körperlichen und mentalen Grenzen. Bevor ich mein erstes Rennen gefahren bin, gab es nur eine kurze Einweisung durch meinen Freund Kurt Ahrens. Das wäre heute undenkbar.

Sie sind 300 Rennen in unterschiedlichen Klassen gefahren. Welches war ihr größter Erfolg?

Eindeutig die 1.000 Kilometer auf dem Nürburgring im Jahr 1979. Da fuhr ich zusammen mit Hans-Georg Bürger. Der junge Mann war hoch talentiert und der beste Fahrer, mit ich je ein Cockpit geteilt habe. Um mit ihm mithalten zu können, musste ich bis an meine Grenzen und darüber hinausgehen. Leider ist Hans-Georg Bürger ein Jahr später tödlich verunglückt.

Einige ihrer Weggefährten sind tödlich verunglückt. Ist überlebt zu haben Ihr größter Erfolg?

Nein, bestimmt nicht. Solch eine Aussage ist mir zu theatralisch.

Der Rennsport war nun einmal gefährlich und ein Unfall mit den Wagen von damals schon recht heikel. Zu meiner Zeit starben im internationalen Rennsport 25 bis 30 Fahrer und dabei sind die unterklassigen Rennen noch gar nicht mit eingerechnet. Solche Zahlen werden heutzutage von der Gesellschaft nicht mehr akzeptiert und das ist auch ganz gut so.

Was ist vom Rennsport geblieben?

Freundschaften, die immer noch halten. Wir waren eine Rennsportfamilie und haben auch private Kontakte gepflegt. Ich habe gerade Erinnerungen mit Wayne Gardner und seinen Sohn Remy ausgetauscht.

Ob das bei den heutigen Rennfahrern noch möglich wäre, das weiß ich nicht. Die verschwinden nach dem Rennen gleich wieder in ihr Wohnmobil oder ihr Tag ist vom Manager durchgetaktet im !5 Minuten-Rhythmus. Wir haben uns damals als Familie verstanden und auch so gehandelt.


Vielen Dank für das Gespräch.

Freitag, 17. Februar 2023

"Ich bin nach Hause gekommen"

Daniel Böhm zu Rücktritt und Wiederkehr

Aus dem einst erfolgreichen Dreigestirn Hildebrandt – Böhm – Peiffer ist Daniel Böhm der einzige, der noch aktiv am Biathlon-Geschehen beteiligt. Seit dem letzten Jahr leitet der 36-jährige Oberharzer als Sportdirektor der Internationalen Biathlon-Union (IBU) das Wettkampfgeschehen weltweit. Ich sprach mit ihm über seine Rückkehr in das Rennengeschehen und die Situation des Biathlons im Harz und selten habe ich jemanden erlebt, der so sehr in sich selbst ruhte.


Herr Böhm, worin bestehen die Aufgaben eines Sport- und Eventdirektors der IBU?

Generell sind wir dafür verantwortlich, dass die internationalen Veranstaltungen so umgesetzt werden, wie die IBU sich das vorstellt. Das beinhaltet sowohl die sportlichen Belange wie auch alles drumherum. Für die internationale Veranstaltungen, also den Weltcup, den IBU-Cup und eben die Weltmeisterschaften, hat die IBU klare Vorgaben entwickelt. Die Sportdirektoren müssen in Zusammenarbeit mit den nationalen Verbänden diese Vorgaben umsetzen.

Zudem sind wir angehalten, die Regeln weiterzuentwickeln, anzupassen an die Anforderungen.


Im Reinen mit sich selbst: Daniel Böhm
bei der WM in Oberhof.
Foto: Thomas Kügler 
Wie ist die Panne mit den zusätzlichen Startplätzen passiert? 

Da müssen wir als IBU eine Teilschuld auf uns nehmen. Die zusätzlichen Plätze waren schon länger in der Diskussion, aber wir waren so in die Debatte vertieft, dass wir bei der Formulierung sorglos waren. Für uns war das klar, aber eben nicht für die anderen.

Dennoch kann man nicht mit dem Finger auf Einzelne zeigen. Wir werden in Zukunft die Regeln eindeutiger formulieren. Es ist niemanden ein Schaden entstanden und unser Ziel haben wir erreicht: Mehr Athleten an den Start bringen. 


Wann kam der Entschluss, sich bei der IBU als Sportdirektor zu bewerben? 

Es gab nie einen Entschluss. Es ist mehr das Ergebnis einer Reihe von glücklichen Fügungen und der Unterstützung durch Felix Bitterling, meinem Vorgänger als IBU-Sportdirektor.

Mir war Ende 2016 nur klar, dass ich aktiv aus dem Sport ausscheiden wollte. Zuerst habe ich eine Ausbildung bei der Bundespolizei als Hubschrauberpilot gemacht. Da habe ich mich aber nicht langfristig gesehen. Nach einer weiteren Zwischenstation habe ich festgestellt, dass ich immer noch einen Fuß im Biathlon hatte. Ich war auch noch Athletensprecher und hatte viele Freunde im Weltcup-Zirkus. Als sich Ende 2019 die Möglichkeit ergab, habe ich zugegriffen.


Warum haben Sie die sichere Stelle bei der Bundespolizei für die IBU aufgegeben?

Ich habe lange mit mir gerungen und mehrere Rücksprachen mit Eltern gehalten. Aber wie gesagt, ich habe mich langfristig nicht bei der Bundespolizei gesehen. Manchmal muss man einige Dinge ausprobieren, bis man das Passende findet.


Sind Sie im übertragenen Sinne wieder zuhause?

Ja, das Biathlon hat mich nie losgelassen. Nun bin ich als Sportdirektor wieder dabei.


Führen Sie damit wieder ein Leben aus dem Koffer?

Als ich Ende 2016 zurückgetreten bin, war ich mir sicher, dass ich das Leben aus dem Koffer nie vermissen werde. Ich habe mich nach 15 Jahren Biathlon auf ein geordnetes Leben gefreut.

Es hat keine zwei Jahre gedauert, bis ich gemerkt habe, dass mir aber genau das fehlt und der größte Teil meiner Freunde aus den Weltcup-Zeiten. Wie gesagt, jetzt bin ich wieder zuhause und es fühlt sich gut an.


Wie schwer ist Ihnen der Abschied aus dem Sportlerleben gefallen?

Es war leichter als gedacht. Das lag auch daran, dass mir die Entscheidung ein wenig abgenommen wurde. Ich war mit meiner sportlichen Situation Ende 2016 unzufrieden und wenn ich noch zur Bundespolizei wollte, musste ich die Ausbildung zum 1.1.2017 anfangen. Also blieb mir nicht viel Zeit zum Nachdenken und die Entscheidung wurde mir zum Teil abgenommen.

Über die Leichtigkeit bin ich selbst ein wenig erstaunt. Alle Athleten machen sich im Laufe ihrer Karriere mehrmals Gedanken über ihren Rücktritt. Das ist schließlich ein harter Schnitt. Daher bin ich dankbar für den Zeitpunkt und den leichten Zwang.


Ex-Sportler werden häufig Kommentatoren oder Trainer. Warum Sie nicht?

Irgendwie stand das nie zur Diskussion. Meine jetzige Tätigkeit ist vielschichtiger und genau das gefällt mir so.


Der Stadionsprecher hat Sie als Oberhofer vorgestellt. Wo ist Ihr wirkliches Zuhause?

Das sollte man nicht so ernst nehmen. Arnd Peiffer und ich haben fünf Jahre in Oberhof trainiert und eine Harzer Wohngemeinschaft im Thüringer Wald gebildet. Aber das ist eine Weile her. Aktuell wohne ich in Ramsau am Dachstein, in Österreich. Dort habe ich eine Reihe von Freunden und mit dem Auto ist es auch nur eine Stunde bis zu meinem Arbeitsplatz in Salzburg.

Aber meine Heimat ist immer noch der Harz, das würde ich als mein Zuhause bezeichnen. Dort bin ich aufgewachsen, in Clausthal-Zellerfeld bin ich zur Schule gegangen und dort habe ich auch meinen Abschluss gemacht.


Ihre Heimat ist der Harz. Woran machen Sie das fest?

Ich fahre regelmäßig aber viel zu selten zu meinen Eltern und ich interessiere mich immer noch dafür, was in der Region passiert. Da gibt es auch über den Sport hinaus noch einige Kontakte.


Haben Sie noch Kontakte zu den Sportfreunden von damals?

Im Prinzip schon, aber ich muss zugeben, dass Arnd und ich uns viel zu selten sehen. Sportfreunde ist ein schöner Begriff. Mit vielen bin ich heute immer noch befreundet und einige treffen ich nun aus beruflichen Gründen. Wir sind jetzt Kollegen auf freundschaftlicher Basis.


Wären Sie jetzt lieber draußen auf der Loipe?

Ich war heute schon eine halbe Stunde unterwegs. Ich habe mir vorgenommen, jeden Tag 30 bis 60 Minuten Sport zu machen. Das brauche ich zum Abschalten, aber auch gesundheitlichen Gründen. Leider klappt es aber nicht jeden Tag.


Wann ziehen Sie das nächste Mal wieder eine Startnummer über?

Das wird bestimmt nicht passieren. Nach meinem Rücktritt habe ich einiges vermisst, aber den Wettkampf nicht. Es gibt einige Ex-Sportler, die sich nach dem Ende der ersten Karriere einen zweiten Sport suchen wie Triathlon oder ähnliches. Ich brauche keinen Wettkampf mehr und auch keine Startnummer. Ich bin nur noch Genusssportler.


Wie stark sind ihre Bindungen zum Biathlon im Harz?

Ich werde von meinen Eltern regelmäßig informiert. Ich muss aber zugeben, dass die Bindungen nicht so eng sind, wie sie sein könnten. Dennoch weiß ich, dass die Trainer im Leistungszentrum eine gute Arbeit leisten.


Wo liegen die Herausforderungen?

Im Nachwuchsbereich, aber das ist weder für die Region noch für das Biathlon spezifisch. In vielen Regionen und Sportarten gibt es Probleme, Nachwuchs für den Spitzensport zu finden. Da sind wir als IBU gefordert, die Motivatoren zu finden, um der Jugend den Leistungssport wieder näher zu bringen. Wir werden uns auch Gedanken zu neuen Trainingsmethoden machen müssen.


Friedliche Begeisterung
bei allen.
Foto: Thomas Kügler 
Wie weit gehen die Möglichkeiten des Biathlons im Harz?

Die Möglichkeiten sind schon eingeschränkt. Aber das gilt für andere Standorte in den Mittelgebirgen aufgrund des Klimawandels auch. Auf ein Spitzenlevel wie in Oberstdorf wird Biathlon im Harz sicherlich nicht kommen. Wenn es um Biathlon im Profibereich geht, ist Oberhof mit seiner Beschneiungsanlage, der Ski-Halle und der Flutlichtanlage auch international das Non plus Ultra, aber im Harz könnte man den Nachwuchs sicherlich bis an die Grenze zum Leistungsbereich bringen.


Alle schwärmen von Oberhof. Was ist das Besondere an diesem Ort?

Zuerst einmal ist es der Fanzuspruch. Der Standort in der Mitte Deutschlands ist ideal. Hier reisen selbst Fans aus Norddeutschland an. Das gilt für Ruhpolding zum Beispiel nicht. Und Deutschland ist immer noch der größte Markt für Biathlon. Das sieht man an den Sponsoren, aber auch am Zuschauerzuspruch. Doch andere Länder holen derzeit auf.


Kommen wir zu den Fans. Biathlon ist friedlich und die Fans sind fair auch zu den Athleten aus anderen Ländern. Woran liegt das?

Das stimmt, aber dafür habe ich keine abschließende Antwort. Vielleicht liegt es daran, dass wir Biathleten uns als eine große Familie sehen. Vielleicht liegt es in der Disziplin begründet, denn beim Biathlon sind die Ergebnisse nicht so vorhersehbar wie in anderen Sportarten und deswegen fällt es leichter die Leistungen aller Sportler und Sportlerinnen anzuerkennen.


Vielen Dank für das Gespräch.


Zur Person

Daniel Böhm wurde am 16. Juni 1986 in Clausthal-Zellerfeld geboren. Der Mann vom SC Buntenbock gehörte von 2006 bis 2016 zum Biathlon-Nationalkader des DSV. Im Weltcup konnte er drei Siege in der Staffel feiern. Seine größten Erfolge waren die Silbermedaille mit der Staffel bei den Olympischen Winterspielen 2014 und Staffelgold bei der Weltmeisterschaft 2015. Bei den Europameisterschaften konnte er 5 Titel mit der Staffel, im Einzel und in der Verfolgung erringen. 2007 war er Juniorenweltmeister, ebenfalls mit der Staffel. Zum Jahresende 2016 trat er von Leistungssport zurück. Seit 2022 ist er Sportdirektor der IBU. 




Mittwoch, 1. Juni 2022

Das Glück im richtigen Moment finden

Bernd Stelter gilt als nachdenkliche Frohnatur. Derzeit ist er mit seinem Programm „Hurra, ab Montag ist wieder Wochenende!“ unterwegs. Ich sprach mit ihm über Morgenmuffel und die 5 Ls, die das Leben lebenswert machen.


Herr Stelter, was bedeutet es für Sie, wieder auftreten zu dürfen?

Ich brauche das Live-Erlebnis, den Austausch mit dem Publikum. Deswegen freue ich mich auf den Abend in Osterode. Ich freue mich vor allem, weil es in diesen Zeit wichtiger denn je ist, gemeinsam zu lachen. 


Wie hat die Pandemie  die Branche verändert?

Ich spüre immer noch eine gewisse Zurückhaltung. Neulich war ich bei den Wühlmäusen in Berlin. Dort habe ich immer 5 Konzert vor ausverkauften Haus gespielt. In diesem Jahr waren es bestenfalls 400 von 520 möglichen Zuschauern pro Veranstaltung.

Das finde ich so schade. solche Momente sind aus meiner Sicht wichtiger denn je. Wenn jemand meint, mit Maske in meinen Konzerten sitzen zu müssen, dann kann er das gern tun. Dagegen habe ich nichts. Aber wir müssen wieder mit einander fröhlich sein. Das ist das wichtigste.


Können Sie der Pandemie etwas Positives abgewinnen?

Meine Ehe funktionierte bis Corona deswegen so gut, weil ich viel unterwegs und selten zuhause war. Aber nun waren meine Frau und ich mehr als anderthalb Jahre täglich zusammen und ich finde, wir haben das sehr gut hinbekommen. Wir sind uns nicht auf die Nerven gegangen, wir haben uns nicht gelangweilt. Damit hat die Corona-Zeit uns als Paar weitergebracht. 


Bernd Stelter kann auch
nachdenklich.
Foto: M. Esser

Ausgangspunkt Ihres aktuellen Programms sind Radio­moderatoren, die zum  Wochenstart herumnörgeln. Um welche Sender machen Sie mittlerweile einen Bogen? 

Ich besuche weiterhin alle Sender, die mich einladen. Aber mich nervt dieses Gejammere über den Montagmorgen weil es Blödsinn ist. Sich immer auf das Wochenende auszurichten ist sehr gefährlich. Ich habe schon tolle Montage erlebt und eine ganze Reihe von schlechten Samstagen. 


Raten Sie Menschen, die nur aufs Wochenende  starren, das Leben zu ändern? 

Ja, unbedingt. Nur fürs Wochenende zu leben ist der völlig falsche Gedanke. Schon allein aus mathematischen Gründen. Das Wochenende hat nur zwei Tage, der Rest der Woche sind aber fünf Tage. 

Die einfachste Art, diese Einstellung zu überwinden, wäre es, sich beruflich zu verändern. Vielleicht haben die Radiomoderatoren, die über die Montage stöhnen, einfach den falschen Job. Die sollten sich schnell was anderes suchen.


Welche andere Empfehlung haben Sie noch? 

Es geht mir um die grundsätzliche Einstellung. Glück ist kein Zustand, Glück das sind schöne Momenten, die wir genießen sollten. Diese Momente können wir nicht in die Hosentasche stecken, aber wenn wir uns an sie erinnern, dann entsteht Zufriedenheit.

Diese Glücksmomente können wir nur erleben, wenn wir nicht immer durchs Leben hasten sondern auch mal stehen bleiben und genau hinschauen. Aber dafür haben wir Deutschen kein Talent.


Warum haben die Deutschen  dafür kein Talent? 

Bei uns muss immer alles so perfekt sein. Die Niederländer freuen sich darüber, wenn sie auf einen Campingstuhl am Strand sitzten und aufs Meer hinausschauen. Bei den Deutschen muss immer ein Wohnmobil im Hintergrund parken.

Die Skandinavier stehen aus meiner Sicht bei den Glücksbefragungen immer ganz oben, weil sie mit weniger zufrieden sind. Das dänische Wort „hygge“ bedeutet soviel wie einfach mit Freunden zusammen sein. Das gibt im Deutschen nicht. Das schwedische Wort „lagom“ bedeutet soviel wie mit weniger zufrieden sein, ¾ reicht auch. Das passt nicht zur deutschen „Ganz oder gar nicht“-Mentalität. Das täte uns aber mal ganz gut. 


Wie sieht ihr  Glückskonzept aus?

Das habe ich in meinem Buch „Wer älter wird, braucht Spaß am Leben“ erklärt. Es geht um 5 Ls. Zuerst dreht es sich ums Laufen. Warum sollte ich joggen? Ich kann doch auch gehen. Das ist mühelos und man schwitzt dabei nicht. Gehen hält auch fit und ich muss mich nicht in so lächerlich bunte Bekleidung zwängen.

Das zweite ist das Lernen. Man sollte geistig fit bleiben und immer was Neues ausprobieren. Ich bin mit 60 Jahren zum Junior-Sommelier geworden und habe viel über Wein gelernt. 

Dann sind da noch Lieben, Lachen und Loslassen. Sie machen sich keine Vorstellungen darüber, wie schön es ist, loszulassen. Unsere Kinder sind erwachsen und selbstständig. Da ist auf einmal viel Raum für meine Frau und mich. 


Wann gibt es den nächsten  Camper-Krimi?

Inspecteur Piet van Houvenkamp ist schon wieder unterwegs. Er ermittelt bereits zu einem Verbrechen, das ander noch gar nicht bemerkt haben. Also, ich puzzle bereits am nächsten Krimi, es wird aber noch ein wenig dauern, bis er veröffentlicht wird. 


Vielen Dank für das Gespräch. 

Freitag, 22. Oktober 2021

Für eine Retrospektive ist man immer zu jung

Olaf Martens über Fotografie, Inszenierung und Provokation

Er gehört zu den wichtigsten Fotografen Deutschlands. Aufgewachsen ist Olaf Martens in Nordhausen. Nun gibt er dort an gleich drei Standorten einen Einblick in sein Werk. Wir sprachen mit ihm über Fotografieren im geteilten und vereinten Deutschland.

Herr Martens, was bedeutet Ihnen die Ausstellung in Nordhausen?

Sehr viel. Ich bin oft da. Meine Eltern leben in Nordhausen und mein Bruder wohnt in Auleben. Außerdem hat im Fotoclub Nordhausen alles begonnen. Wie mein Studienfreund Neo Rauch ist es auch mir wichtig zu den Wurzeln zurückzukehren. Neo ist nach Aschersleben zurückgegangen und ich besuche regelmäßig Nordhausen.

Ist die Ausstellung ihre erste Retrospektive?

Nein, dafür ist man immer zu jung. Aber eine Ausstellung in dieser Form habe ich noch nicht gemacht. Ich musste viele meiner alten Arbeiten sichten und auswählen. Leider hat man dafür derzeit eben zu viel Zeit. 

Martens Hyperrealismus: Märchenhafte
Inszenierungen trifft auf 
Realität.

Was ist das Besondere an dieser Ausstellung?

Es ist das dezentrale Konzept mit gleich drei Standorten. In der Flohburg geht es vor allem Arbeiten aus der Vergangenheit, viele Fotos aus dem Nordhausen der frühen 80-er Jahren und aus Halle und anderen Orten.
In der Stadtbibliothek hängen vor allem Portraits. Da sind durchaus bekannte aber auch weniger bekannte Gesichter zu sehen. Besonders das Bild mit Rainer Langhans hat es mir persönlich angetan.
Im Kunsthaus gibt es dann einen Einblick in meine aktuellen Werke und vor allem in den Produktionsprozess. In einem Raum haben wir viele Fotos, die am Set entstanden sind. Die Bilder zeigen die Beleuchter, die Visagisten und alle Menschen, die man sonst nicht sieht. ein anderer Raum zeigt Fotos die eigentlich überbelichtet sind, aber dadurch zu einer neuen Aussage führen. Manchmal macht der Zufall die besten Bilder. Aber wir zeigen auch Fotos aus den aktuellen Projekten wie “Decamerone”.

Ihre frühen Bilder sind Reportagen in Schwarz-Weiß. Waren Sie damals ein Berichterstatter des Alltags?

Die Entscheidung für Schwarz-Weiß war vor allem eine ökonomische Entscheidung. Außerdem war in der DDR der Zwang zum Realismus in der Fotografie die Doktrin. Aber selbst damit konnte man anecken oder provozieren. Ich habe schon als Schüler sehr viel Ärger bekommen weil ich zwei Fotos von Schrotthaufen in das Schaufenster unseres Fotoclubs gehängt hatte. Am nächsten Tag waren die Bilder spurlos verschwunden und tauchten nie wieder auf.
Um zum Thema Farbe zu kommen. Meine Diplomarbeit war komplett farbig und zwar auf dem Foma-Papier aus Tschechien. Das war damals noch auf Baryt-Basis und ich konnte im Labor feinste Nuancen herauskitzeln. Selbst Helmut Newton war davon so beeindruckt, dass er mich als Laboranten engagieren wollte. Das Angebot habe ich aber abgelehnt, weil ich es mir schlicht und einfach nicht zugetraut habe.

Wie sind Sie zur Fotografie gekommen?

Meine Mutter hatte mir eine Kamera geschenkt und einen Vergrößerungsapparat. Anfangs habe ich Poster und Plattencover aus dem Westen abfotografiert, vergrößert und verkauft. Motive mit Udo Lindenberg liefen am Besten. Damals war ich wohl der größte Dealer in Nordhausen, aber das hat mir irgendwann nicht mehr gereicht. Ich wollte was Eigenes machen und nicht ständig reproduzieren.

Wie beschreiben Sie ihren eigenen Stil?

Als Hyperrealismus. Es sind märchenhafte Inszenierungen, in die die Realität immer wieder eindringt mit Zitaten oder mit Details. Mich fasziniert heute noch die Bildsprache von Rainer Werner Fassbinder. Aber auch die Serie, die Steven Meisel nach 9/11 für die italienische Vogue gemacht hat, beeindruckt mich.

Martens kehrt zu den Wurzeln zurück.
Alle Fotos: Olaf Martens

Bis auf wenige Ausnahmen ist ihr Motiv immer der Mensch. Warum?

Der Mensch ist das Maß aller Dinge. Ich wollte nie Landschaftsfotografie oder Stilleben machen. Mir ist die Kommunikation zwischen den Menschen wichtig, das Austauschen von Ideen, das Teilen von Geschichten, auf Dinge eingehen, denn in unseren Emotionen gleichen wir uns alle.

Erzählen Sie Geschichten mit ihren Fotos?

Ja.

Was ist die Konstante in Ihren Werk?

Die Provokation und die Kritik. Obwohl ich aus der DDR komme, fühle ich mich den Ideen der 68-er verbunden. Ich hatte das Glück, viele ihrer Protagonisten nach der Wende kennengelernt zu haben und mit einigen durfte ich sogar arbeiten.
Die Provokation funktioniert auch in der Modefotografie. Es ist eine Frage der Inszenierung, eine Frage des Orts. Auch die Opulenz meiner Bilder ist immer wieder gebrochen. Dahinter stecken Geschichten, die zum Nachdenken anregen.

Vielen Dank für das Gespräch.