Direkt zum Hauptbereich

Ich habe sieben Leben

Noch ein Interview mit Gregor Gysi

Gregor Gysi ist wohl so etwas wie der letzte Pop-Star des Politikbetriebs. Zwar kommt er erst nächsten Jahrzur Lesung nach Osterode. Aber wir sprachen schon jetzt mal über Alter werden, besser zuhören und optimistisch bleiben. .

Herr Gysi, Sie sind schon unterwegs auf Lesereise. Was sind ihre ersten Eindrücke?

Die Veranstaltungen laufen gut, aber es gibt deutliche Unterschiede zwischen Ost und West. Das merke ich an den Fragen, die im Anschluss gestellt werden.  In Westdeutschland haben die Veranstaltungen einen aufklärerischen Charaktere, im Osten ist man eher an meiner bewegten Familiengeschichte interessiert.

Der Titel ihrer Biografie lautet „Ein Leben ist zu wenig“. Wie viele Leben hätten Sie denn gern.

Sieben Stück wie Che Guevarra. Nein, im Ernst. Mein erstes Leben waren Kindheit und Jugend. Dann kam mein zweites Leben als Student, mein drittes als Anwalt. Mein viertes Leben fand in der Umbruchphase der Wende mit all ihren Unwägbarkeiten  statt.  Das fünfte Leben war mein Leben als Politiker, der vielen Anfeindungen ausgesetzt war. Nun bin ich von der Mehrheit akzeptiert und damit im 6. Leben. Bald beginnt mein 7. Leben und darauf freue ich mich.

Haben Sie dafür schon einen Termin  gesetzt?

Nein, einen Termin gibt es noch nicht. Aber ich habe mir fest vorgenommen, die Privilegien das Alters zu genießen. Ich werde aber bestimmt nicht über Krankheiten  lamentieren, das ist so ermüdend.

Vor drei Jahren haben Sie mit Friedrich Schorllemmer „Was bleiben wird“ veröffentlicht, jetzt die Autobiografie. Zieht Gregor Gysi schon die Bilanz seines Lebens?

Das kann man so sagen. Aber das mache ich schon seit meinem 5 Leben. Ich mache auch ganz andere Dinge wie Moderator.  Seitdem sehe ich vieles abgeklärter und ich habe gelernt zuzuhören. Ich beanspruche nur 10 % Prozent der Redezeit, den Rest überlasse ich meinen Gästen. Meine Kinder betonen immer wieder, dass ich zwar weniger Zeit als früher habe, dafür aber intensiver zuhöre.
Mittlerweile stehe ich ein wenig über den Dingen und kann auch gut Menschen zuhören, die anderer Meinung sind. Das macht die Gespräche weitaus interessanter. Ich muss auch nicht mehr jeden Beschluss meiner Partei mittragen. Im Alter wird der Gruppenzwang immer geringer.

Gregor Gysi, kein angy old man sondern eher
altersadäquat gelassen.      
Foto: Joachim Gern
Angela Merkel hat ihren Rückzug auf Raten eingeläutet. Inwieweit wird sie Ihnen fehlen?

Ich kann sie verstehen, aber Angela Merkel tut mir leid. Sie hat den richtigen Zeitpunkt verpasst. Ihren Rückzug hätte sie schon zur Mitte der letzten Legislaturperiode einläuten sollen. Dann hätte sie den Gang der Dinge bestimmen können. Aber schon die Abwahl von  Volker Kauder als Fraktionsvorsitzender hat gezeigt, dass sie das Heft des Handels nicht mehr in der Hand hält.
Angela Merkl hat unbestritten eine ganze Reihe von Verdiensten. Aber Zug ist abgefahren, um in diesem Land noch etwas zum Positiven zu wenden. Immerhin bilden Angela Merkel und Annegret Kramp-Karrenbauer eine Einheit und  somit bleiben der Stillstand und die Große Koalition erhalten.

Können wir zu einer anderen Reizfigur. Wie groß wird der Erfolg von Sarah Wagenknecht und ihre Bewegung „Aufstehen“ sein? 

An dem Erfolg habe ich so meine Zweifel weil ich über reichlich Erfahrungen in Bereich verfüge. Eine Bewegung ist dann erfolgreich, wenn sie sich einem Thema widmet. Dann kann man hunderttausende Menschen auf die Straßen bringen, sei es in Berlin oder anderswo. Das funktioniert nicht, wenn man sich um die Themen von A bis Z kümmern will. Das ist aus meiner Sicht die Aufgabe von Parteien.

Was kann Deutschland von den Gelbwesten lernen? 

Die Franzosen zeigen uns, wie man Widerstand leisten kann. Was mir gar nicht gefällt, ist die Tatsache, dass dort auch viele Rechte in der Suppe herumrühren.
Was wir sonst noch lernen können, ist die Tatsache, dass wir aufhören müssen mit dem ‘Weiter so’. Die Auseiandersetzungen in Frankreich zeigen, dass der Vertrauensverlust der politischen Eliten enorm ist. Das hat eigentlich schon die Wahl von Donald Trump gezeigt, aber viele haben es nicht verstanden. Wenn wir so weitermachen, dann haben wir in vier oder fünf Jahren unseren deutschen Donald Trump.

Was muss sich an der Politik in Deutschland ändern?

Sie muss glaubwürdiger werden. Es kann nicht sein, dass die Bundesrepublik das militärische Eingreifen im Kosovo seinerzeit mit gefährdeten Menschenrechten begründet und heute zu den Vorgängen in Saudi-Arabien schweigt. Die Saudis führen im Jemen einen Krieg und die Seeblockade wird mit Schiffen von deutschen Werften durchgezogen. 12 Millionen Menschen im Jemen droht so der Hungertod.
Anderes Beispiel: Wenn ich als Schwarzfahrer erwischt werde, dann muss ich nicht nur den Fahrpreis sondern auch ein ordentliches Bußgeld zahlen. Die deutschen Autohersteller haben jahrelang eine Schummelsoftware in ihren Wagen installiert. Damit haben sie auch die Kunden betrogen, müssen aber kein Bußgeld bezahlen. Ganz im Gegenteil, sie werden von der Bundesregierung sogar noch hofiert. Das ist nur schwer nachvollziehbar und bestimmt nicht glaubwürdig. Diese Ungleichbehandlung nervt die Wählerinnen und Wähler.

Vor zwei Jahren haben Sie die These aufgestellt, dass viele Wähler von der Linken zur AfD umschwenken, weil die Linke keine Oppositionspartei mehr ist. Bleiben sie dabei? 

Ja, man kann ja nicht leugnen, dass wir in Berlin, Brandenburg  und Thüringen an der Regierung beteiligt sind. Aber man auch die besondere Situation berücksichtigen. Viele ostdeutsche fühlen sich als die Verlierer des Krieges und der Einheit.  Nach der Einheit gab es eine Massenarbeitslosigkeit riesigen Ausmaßes. Nun fürchten viele, von den Migranten vom Arbeitsmarkt verdrängt zu werden. Außerdem war die DDR eine geschlossene Gesellschaft und abgesehen von Berlin, Leipzig und Rostock gab es dort keine Ausländer in der Öffentlichkeit. Viele hier sehen sich als Deutsche zweiter Klasse und  wollen eben Menschen dritter Klasse unter sich sehen.
Interessanterweise können gerade die Grünen von der Situation profitieren. Sie stellen sich als Gegenpol zu AfD dar, obwohl sie es nicht sind.

Die Parteien der Linken sind seit Jahren in der Defensive. Was wäre ein linkes Projekt, dass man optimistisch angehen sollte?

Da fällt mit zuerst  der Frieden ein. Wir brauchen ein weltweit koordiniertes Vorgehen gegen die zahlreichen Kriege. Auch die  soziale Frage müssen wir mittlerweile weltweit stellen. Die Digitalisierung und das mobile Internet haben sie zu einer globalen Angelegenheit gemacht. Wir müssen alle Anstrengungen unternehmen, um das Klima zu retten. Aber vor allem müssen wir die europäische Integration nach vorne bringen, denn die ist eine beispiellose Erfolgsgeschichte.

Vielen Dank für das Gespräch. 





Material #1: Gregor Gysi - Die Biografie
Material #2: Ein Leben ist zu wenig - Das Buch

Material #3: Was auf die Ohren - Gregor Gysi im Grenzgänger-Interview






Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Welke: Es wird ein falsches Spiel mit dem Welterbe betrieben

Der Montanhistoriker übt scharfe Kritik am Umgang mit dem Weltkulturerbe Dr. Peter Welke ist der Dorn im Fleisch selbstzufriedenen Welterbeverwalter. So bescheinigte der  Bergbau-Experte der Uni Bonn 2009 den Harzern, den Harzwasserwerken und den Niedersächsischen Landesforsten einen schlechten Umgang mit dem Kulturerbe (siehe unten). Er war der erste, der die Chancenlosigkeit eines Pumpspeicherkraftwerks im Oberharz erkannte und Recht behielt. Er warnte auch frühzeitig vor den Gefahren durch die schlecht gesicherten Altlasten des Bergbaus. Im September traf sich Dr. Peter Welke mit Gerhard Lenz, Direktor der Stiftung Weltkulturerbe Harz, und mit Dr. Stefan Winghart, Präsident des Niedersächsischen Landesamt für Denkmalschutz, zum Streitgespräch bei NDR 1 Radio Niedersachen zum Streigespräch. Das Thema: der Umgang mit dem Oberharzer Wasserregal. Im Vorfeld traf ich ihn zu Interview. Herr Doktor Welke, wie pfleglich geht der Harzer mit seinem Weltkulturerbe um? Das fragen Sie...

Der Iran ist besser als sein Image

Dieter Nuhr über das Reisen und die Distanz zur Heimat Reisen ist für den Kabarettisten Dieter Nuhr die Grundlage für ständiges Lernen, Verändern und Zurechtrücken und Reisen ist für den bildenden Künstler Dieter Nuhr das Thema für den größten Teil seiner Werke. Ich sprach mit ihm darüber und das Verhältnis von Wort und Bild.  Herr Nuhr, wie weit muss man reisen, um genug Distanz zur Heimat zu haben? Manchmal genügen ein paar Kilometer. Ich war heute in einem pakistanischen Restaurant, in dem man schon bald vergaß, nicht in Karachi zu sein. Aber der Weg nach Hause war dann doch recht kurz. Vor ein paar Wochen war ich noch im Ladakh. Da hat man das Gefühl, auf einem anderen Planeten zu sein. Dann ist das nach Hausekommen ein viel spektakulärerer Prozess. Je mehr Distanz man nach Hause hatte, umso überraschter ist der Blick auf die Heimat, wenn man wieder zurückkehrt. Wo wollen Sie unbedingt noch einmal hin? Ich kehre immer wieder gerne nach Indien zurück, aber auch in den Iran möcht...

Erfinden heißt erinnen

Ein Interview mit Autorin Anne Gesthuysen Sie war von 2002 bis 2014 das Gesicht des ARD-Morgenmagazins. Ihr erstes Buch "Wir sind doch Schwestern" war 2012 ein echter Überraschungserfolg und führte zeitweilig die Bestsellerlisten an. Mit dem aktuellen Buch "Wir sind doch schließlich wer" ist Anne Gesthuysen nun auf Lesereise und im Rahmen des Göttinger Literaturherbstes am 2. November zu Gast im Kurhaus Bad Lauterberg. Frau Gesthuysen, wie weit werden Sie in der Öffentlichkeit immer noch als die Moderatorin des Morgenmagazins wahrgenommen? Nach 9 Jahren wird es langsam weniger. Aber es passiert immer noch, dass Menschen aus heiterem Himmel fragen: „Warum machen Sie eigentlich nicht mehr das Morgenmagazin?“ Die Antwort lautet nach wie vor: Ich habe das Morgenmagazin wirklich geliebt. Aber jede Nacht um 1 Uhr aufstehen, das habe ich irgendwann gehasst. Wie macht sich dies während ihrer Lesungen bemerkbar? Ehrlich gesagt freut es mich, dass wohl niemand ...