Freitag, 17. Februar 2023

"Ich bin nach Hause gekommen"

Daniel Böhm zu Rücktritt und Wiederkehr

Aus dem einst erfolgreichen Dreigestirn Hildebrandt – Böhm – Peiffer ist Daniel Böhm der einzige, der noch aktiv am Biathlon-Geschehen beteiligt. Seit dem letzten Jahr leitet der 36-jährige Oberharzer als Sportdirektor der Internationalen Biathlon-Union (IBU) das Wettkampfgeschehen weltweit. Ich sprach mit ihm über seine Rückkehr in das Rennengeschehen und die Situation des Biathlons im Harz und selten habe ich jemanden erlebt, der so sehr in sich selbst ruhte.


Herr Böhm, worin bestehen die Aufgaben eines Sport- und Eventdirektors der IBU?

Generell sind wir dafür verantwortlich, dass die internationalen Veranstaltungen so umgesetzt werden, wie die IBU sich das vorstellt. Das beinhaltet sowohl die sportlichen Belange wie auch alles drumherum. Für die internationale Veranstaltungen, also den Weltcup, den IBU-Cup und eben die Weltmeisterschaften, hat die IBU klare Vorgaben entwickelt. Die Sportdirektoren müssen in Zusammenarbeit mit den nationalen Verbänden diese Vorgaben umsetzen.

Zudem sind wir angehalten, die Regeln weiterzuentwickeln, anzupassen an die Anforderungen.


Im Reinen mit sich selbst: Daniel Böhm
bei der WM in Oberhof.
Foto: Thomas Kügler 
Wie ist die Panne mit den zusätzlichen Startplätzen passiert? 

Da müssen wir als IBU eine Teilschuld auf uns nehmen. Die zusätzlichen Plätze waren schon länger in der Diskussion, aber wir waren so in die Debatte vertieft, dass wir bei der Formulierung sorglos waren. Für uns war das klar, aber eben nicht für die anderen.

Dennoch kann man nicht mit dem Finger auf Einzelne zeigen. Wir werden in Zukunft die Regeln eindeutiger formulieren. Es ist niemanden ein Schaden entstanden und unser Ziel haben wir erreicht: Mehr Athleten an den Start bringen. 


Wann kam der Entschluss, sich bei der IBU als Sportdirektor zu bewerben? 

Es gab nie einen Entschluss. Es ist mehr das Ergebnis einer Reihe von glücklichen Fügungen und der Unterstützung durch Felix Bitterling, meinem Vorgänger als IBU-Sportdirektor.

Mir war Ende 2016 nur klar, dass ich aktiv aus dem Sport ausscheiden wollte. Zuerst habe ich eine Ausbildung bei der Bundespolizei als Hubschrauberpilot gemacht. Da habe ich mich aber nicht langfristig gesehen. Nach einer weiteren Zwischenstation habe ich festgestellt, dass ich immer noch einen Fuß im Biathlon hatte. Ich war auch noch Athletensprecher und hatte viele Freunde im Weltcup-Zirkus. Als sich Ende 2019 die Möglichkeit ergab, habe ich zugegriffen.


Warum haben Sie die sichere Stelle bei der Bundespolizei für die IBU aufgegeben?

Ich habe lange mit mir gerungen und mehrere Rücksprachen mit Eltern gehalten. Aber wie gesagt, ich habe mich langfristig nicht bei der Bundespolizei gesehen. Manchmal muss man einige Dinge ausprobieren, bis man das Passende findet.


Sind Sie im übertragenen Sinne wieder zuhause?

Ja, das Biathlon hat mich nie losgelassen. Nun bin ich als Sportdirektor wieder dabei.


Führen Sie damit wieder ein Leben aus dem Koffer?

Als ich Ende 2016 zurückgetreten bin, war ich mir sicher, dass ich das Leben aus dem Koffer nie vermissen werde. Ich habe mich nach 15 Jahren Biathlon auf ein geordnetes Leben gefreut.

Es hat keine zwei Jahre gedauert, bis ich gemerkt habe, dass mir aber genau das fehlt und der größte Teil meiner Freunde aus den Weltcup-Zeiten. Wie gesagt, jetzt bin ich wieder zuhause und es fühlt sich gut an.


Wie schwer ist Ihnen der Abschied aus dem Sportlerleben gefallen?

Es war leichter als gedacht. Das lag auch daran, dass mir die Entscheidung ein wenig abgenommen wurde. Ich war mit meiner sportlichen Situation Ende 2016 unzufrieden und wenn ich noch zur Bundespolizei wollte, musste ich die Ausbildung zum 1.1.2017 anfangen. Also blieb mir nicht viel Zeit zum Nachdenken und die Entscheidung wurde mir zum Teil abgenommen.

Über die Leichtigkeit bin ich selbst ein wenig erstaunt. Alle Athleten machen sich im Laufe ihrer Karriere mehrmals Gedanken über ihren Rücktritt. Das ist schließlich ein harter Schnitt. Daher bin ich dankbar für den Zeitpunkt und den leichten Zwang.


Ex-Sportler werden häufig Kommentatoren oder Trainer. Warum Sie nicht?

Irgendwie stand das nie zur Diskussion. Meine jetzige Tätigkeit ist vielschichtiger und genau das gefällt mir so.


Der Stadionsprecher hat Sie als Oberhofer vorgestellt. Wo ist Ihr wirkliches Zuhause?

Das sollte man nicht so ernst nehmen. Arnd Peiffer und ich haben fünf Jahre in Oberhof trainiert und eine Harzer Wohngemeinschaft im Thüringer Wald gebildet. Aber das ist eine Weile her. Aktuell wohne ich in Ramsau am Dachstein, in Österreich. Dort habe ich eine Reihe von Freunden und mit dem Auto ist es auch nur eine Stunde bis zu meinem Arbeitsplatz in Salzburg.

Aber meine Heimat ist immer noch der Harz, das würde ich als mein Zuhause bezeichnen. Dort bin ich aufgewachsen, in Clausthal-Zellerfeld bin ich zur Schule gegangen und dort habe ich auch meinen Abschluss gemacht.


Ihre Heimat ist der Harz. Woran machen Sie das fest?

Ich fahre regelmäßig aber viel zu selten zu meinen Eltern und ich interessiere mich immer noch dafür, was in der Region passiert. Da gibt es auch über den Sport hinaus noch einige Kontakte.


Haben Sie noch Kontakte zu den Sportfreunden von damals?

Im Prinzip schon, aber ich muss zugeben, dass Arnd und ich uns viel zu selten sehen. Sportfreunde ist ein schöner Begriff. Mit vielen bin ich heute immer noch befreundet und einige treffen ich nun aus beruflichen Gründen. Wir sind jetzt Kollegen auf freundschaftlicher Basis.


Wären Sie jetzt lieber draußen auf der Loipe?

Ich war heute schon eine halbe Stunde unterwegs. Ich habe mir vorgenommen, jeden Tag 30 bis 60 Minuten Sport zu machen. Das brauche ich zum Abschalten, aber auch gesundheitlichen Gründen. Leider klappt es aber nicht jeden Tag.


Wann ziehen Sie das nächste Mal wieder eine Startnummer über?

Das wird bestimmt nicht passieren. Nach meinem Rücktritt habe ich einiges vermisst, aber den Wettkampf nicht. Es gibt einige Ex-Sportler, die sich nach dem Ende der ersten Karriere einen zweiten Sport suchen wie Triathlon oder ähnliches. Ich brauche keinen Wettkampf mehr und auch keine Startnummer. Ich bin nur noch Genusssportler.


Wie stark sind ihre Bindungen zum Biathlon im Harz?

Ich werde von meinen Eltern regelmäßig informiert. Ich muss aber zugeben, dass die Bindungen nicht so eng sind, wie sie sein könnten. Dennoch weiß ich, dass die Trainer im Leistungszentrum eine gute Arbeit leisten.


Wo liegen die Herausforderungen?

Im Nachwuchsbereich, aber das ist weder für die Region noch für das Biathlon spezifisch. In vielen Regionen und Sportarten gibt es Probleme, Nachwuchs für den Spitzensport zu finden. Da sind wir als IBU gefordert, die Motivatoren zu finden, um der Jugend den Leistungssport wieder näher zu bringen. Wir werden uns auch Gedanken zu neuen Trainingsmethoden machen müssen.


Friedliche Begeisterung
bei allen.
Foto: Thomas Kügler 
Wie weit gehen die Möglichkeiten des Biathlons im Harz?

Die Möglichkeiten sind schon eingeschränkt. Aber das gilt für andere Standorte in den Mittelgebirgen aufgrund des Klimawandels auch. Auf ein Spitzenlevel wie in Oberstdorf wird Biathlon im Harz sicherlich nicht kommen. Wenn es um Biathlon im Profibereich geht, ist Oberhof mit seiner Beschneiungsanlage, der Ski-Halle und der Flutlichtanlage auch international das Non plus Ultra, aber im Harz könnte man den Nachwuchs sicherlich bis an die Grenze zum Leistungsbereich bringen.


Alle schwärmen von Oberhof. Was ist das Besondere an diesem Ort?

Zuerst einmal ist es der Fanzuspruch. Der Standort in der Mitte Deutschlands ist ideal. Hier reisen selbst Fans aus Norddeutschland an. Das gilt für Ruhpolding zum Beispiel nicht. Und Deutschland ist immer noch der größte Markt für Biathlon. Das sieht man an den Sponsoren, aber auch am Zuschauerzuspruch. Doch andere Länder holen derzeit auf.


Kommen wir zu den Fans. Biathlon ist friedlich und die Fans sind fair auch zu den Athleten aus anderen Ländern. Woran liegt das?

Das stimmt, aber dafür habe ich keine abschließende Antwort. Vielleicht liegt es daran, dass wir Biathleten uns als eine große Familie sehen. Vielleicht liegt es in der Disziplin begründet, denn beim Biathlon sind die Ergebnisse nicht so vorhersehbar wie in anderen Sportarten und deswegen fällt es leichter die Leistungen aller Sportler und Sportlerinnen anzuerkennen.


Vielen Dank für das Gespräch.


Zur Person

Daniel Böhm wurde am 16. Juni 1986 in Clausthal-Zellerfeld geboren. Der Mann vom SC Buntenbock gehörte von 2006 bis 2016 zum Biathlon-Nationalkader des DSV. Im Weltcup konnte er drei Siege in der Staffel feiern. Seine größten Erfolge waren die Silbermedaille mit der Staffel bei den Olympischen Winterspielen 2014 und Staffelgold bei der Weltmeisterschaft 2015. Bei den Europameisterschaften konnte er 5 Titel mit der Staffel, im Einzel und in der Verfolgung erringen. 2007 war er Juniorenweltmeister, ebenfalls mit der Staffel. Zum Jahresende 2016 trat er von Leistungssport zurück. Seit 2022 ist er Sportdirektor der IBU.