Freitag, 22. Oktober 2021

Für eine Retrospektive ist man immer zu jung

Olaf Martens über Fotografie, Inszenierung und Provokation

Er gehört zu den wichtigsten Fotografen Deutschlands. Aufgewachsen ist Olaf Martens in Nordhausen. Nun gibt er dort an gleich drei Standorten einen Einblick in sein Werk. Wir sprachen mit ihm über Fotografieren im geteilten und vereinten Deutschland.

Herr Martens, was bedeutet Ihnen die Ausstellung in Nordhausen?

Sehr viel. Ich bin oft da. Meine Eltern leben in Nordhausen und mein Bruder wohnt in Auleben. Außerdem hat im Fotoclub Nordhausen alles begonnen. Wie mein Studienfreund Neo Rauch ist es auch mir wichtig zu den Wurzeln zurückzukehren. Neo ist nach Aschersleben zurückgegangen und ich besuche regelmäßig Nordhausen.

Ist die Ausstellung ihre erste Retrospektive?

Nein, dafür ist man immer zu jung. Aber eine Ausstellung in dieser Form habe ich noch nicht gemacht. Ich musste viele meiner alten Arbeiten sichten und auswählen. Leider hat man dafür derzeit eben zu viel Zeit. 

Martens Hyperrealismus: Märchenhafte
Inszenierungen trifft auf 
Realität.

Was ist das Besondere an dieser Ausstellung?

Es ist das dezentrale Konzept mit gleich drei Standorten. In der Flohburg geht es vor allem Arbeiten aus der Vergangenheit, viele Fotos aus dem Nordhausen der frühen 80-er Jahren und aus Halle und anderen Orten.
In der Stadtbibliothek hängen vor allem Portraits. Da sind durchaus bekannte aber auch weniger bekannte Gesichter zu sehen. Besonders das Bild mit Rainer Langhans hat es mir persönlich angetan.
Im Kunsthaus gibt es dann einen Einblick in meine aktuellen Werke und vor allem in den Produktionsprozess. In einem Raum haben wir viele Fotos, die am Set entstanden sind. Die Bilder zeigen die Beleuchter, die Visagisten und alle Menschen, die man sonst nicht sieht. ein anderer Raum zeigt Fotos die eigentlich überbelichtet sind, aber dadurch zu einer neuen Aussage führen. Manchmal macht der Zufall die besten Bilder. Aber wir zeigen auch Fotos aus den aktuellen Projekten wie “Decamerone”.

Ihre frühen Bilder sind Reportagen in Schwarz-Weiß. Waren Sie damals ein Berichterstatter des Alltags?

Die Entscheidung für Schwarz-Weiß war vor allem eine ökonomische Entscheidung. Außerdem war in der DDR der Zwang zum Realismus in der Fotografie die Doktrin. Aber selbst damit konnte man anecken oder provozieren. Ich habe schon als Schüler sehr viel Ärger bekommen weil ich zwei Fotos von Schrotthaufen in das Schaufenster unseres Fotoclubs gehängt hatte. Am nächsten Tag waren die Bilder spurlos verschwunden und tauchten nie wieder auf.
Um zum Thema Farbe zu kommen. Meine Diplomarbeit war komplett farbig und zwar auf dem Foma-Papier aus Tschechien. Das war damals noch auf Baryt-Basis und ich konnte im Labor feinste Nuancen herauskitzeln. Selbst Helmut Newton war davon so beeindruckt, dass er mich als Laboranten engagieren wollte. Das Angebot habe ich aber abgelehnt, weil ich es mir schlicht und einfach nicht zugetraut habe.

Wie sind Sie zur Fotografie gekommen?

Meine Mutter hatte mir eine Kamera geschenkt und einen Vergrößerungsapparat. Anfangs habe ich Poster und Plattencover aus dem Westen abfotografiert, vergrößert und verkauft. Motive mit Udo Lindenberg liefen am Besten. Damals war ich wohl der größte Dealer in Nordhausen, aber das hat mir irgendwann nicht mehr gereicht. Ich wollte was Eigenes machen und nicht ständig reproduzieren.

Wie beschreiben Sie ihren eigenen Stil?

Als Hyperrealismus. Es sind märchenhafte Inszenierungen, in die die Realität immer wieder eindringt mit Zitaten oder mit Details. Mich fasziniert heute noch die Bildsprache von Rainer Werner Fassbinder. Aber auch die Serie, die Steven Meisel nach 9/11 für die italienische Vogue gemacht hat, beeindruckt mich.

Martens kehrt zu den Wurzeln zurück.
Alle Fotos: Olaf Martens

Bis auf wenige Ausnahmen ist ihr Motiv immer der Mensch. Warum?

Der Mensch ist das Maß aller Dinge. Ich wollte nie Landschaftsfotografie oder Stilleben machen. Mir ist die Kommunikation zwischen den Menschen wichtig, das Austauschen von Ideen, das Teilen von Geschichten, auf Dinge eingehen, denn in unseren Emotionen gleichen wir uns alle.

Erzählen Sie Geschichten mit ihren Fotos?

Ja.

Was ist die Konstante in Ihren Werk?

Die Provokation und die Kritik. Obwohl ich aus der DDR komme, fühle ich mich den Ideen der 68-er verbunden. Ich hatte das Glück, viele ihrer Protagonisten nach der Wende kennengelernt zu haben und mit einigen durfte ich sogar arbeiten.
Die Provokation funktioniert auch in der Modefotografie. Es ist eine Frage der Inszenierung, eine Frage des Orts. Auch die Opulenz meiner Bilder ist immer wieder gebrochen. Dahinter stecken Geschichten, die zum Nachdenken anregen.

Vielen Dank für das Gespräch.




Samstag, 6. März 2021

Man ist nie zu alt für die Maus

Helden und Geschichten: Interview mit Christoph Biemann

Bei der Sendung ist er der Mann im grünen Pullover und seit 1972 ist er mit dabei bei der "Sendung mit der Maus". Erst hinter der Kamera und seit 1983 auch vor der Kamera. Ich sprach mit Christoph biemann über die maus, das lesen und das Lernen.

Herr Biemann, wie dringend ist es, die Maus zu schauen?

Es ist sehr dringend und es wird immer dringender. Die Welt wird immer komplexer und da entwickeln auch Kinder das Bedürfnis. einzelne Aspekte unter die Lupe. Kinder wollen immer verstehen und da ist die Verknüpfung zwischen dem Lüften eines Geheimnisses und Spaß dabei haben ein gutes Mittel. Das ist allerbeste Unterhaltung.

Was ist das Prinzip Maus?

Das Prinzip besteht darin, mit dem Erzählen einer Geschichte Wissen zu vermitteln. Es gibt einen Helden und ein Problem und später die Lösung.

Welches ist ihr Lieblingsfilm?

Das ist immer derjenige,  an dem ich gerade arbeite. Aber ich liebe es auch, Filme nach zwei oder drei Jahren in der Wiederholung zu sehen. Schließlich hängt immer sehr viele Herzblut daran und wir scheuen keinen Aufwand. Wir bauen nicht nur Modelle für unsere Filme und drehen Szenen auch schon mal nach, wenn sie uns nicht gefallen. 

Selbst die Musik wird für jeden Maus-Film extra komponiert. Lernen hat auch etwas mit Emotionen zu tun und Musik vermittelt Emotionen. Damit die Musik haargenau auf die Sekunde passt, wird sie für jeden Maus-Film geschrieben.

Was ist ihr schönstes Erlebnis mit der Maus?

Das klingt ein wenig wie die Frage nach dem schönsten Schulausflug. Da findet man selten eine Antwort drauf. Es ist immer wieder schön, den Sachen aus dem Alltag auf den Grund zu gehen und damit in neue Welten einzutauchen.

Christoph Biemann ist immer noch in Grün. 
Foto: WDR/Annika Fußwinkel
Wir arbeiten zum Beispiel gerade an der Frage “Woher weiß die Zapfpistolen wann der Tank voll ist?”. Das ist ein sehr schönes Thema und es hat mit viel Physik zu tun.

Schön ist auch, dass die Fragen, aus denen Sachgeschichten entstehen, häufig von Kindern kommen, aber auch den Eltern. Neulich hatten wir die Frage, warum Sterne immer mit Zacken gezeichnet werden obwohl sie doch rund sind. An den Einsendungen unserer Zuschauerinnen und Zuschauer stellen wir nicht nur fest, welche Themen interessant sind. An dieser Mitarbeit merken wir auch, wie wichtig die Sendung mit der Maus für die Menschen ist.

Was hat sich in den 50 Jahren geändert?

Ich habe meine ersten Mausfilm 1972 gemacht und es hat sich einiges geändert und wir müssen mit der Zeit gehen. Das ist auch ganz natürlich, denn die Sehgewohnheiten haben sich seit den Anfangsjahren geändert. Mit einem Film von 1972 würde ich heute kein Kind mehr begeistern können.

Aber es gab bei der Maus nie eine Revolution, alle Änderungen sind Stück für Stück gekommen und haben sich entwickelt.

Funktioniert die Rollenverteilung zwischen Armin, Christoph und Ralph immer noch?

Ja, das tut sie. Schließlich hat jeder von uns so seine eigene Sparte und seine Herangehensweise. Armin ist zum Beispiel der Wissende, ich bin der Unwissende auf der Suche nach der Lösung und Ralph ist der Besserwisser mit seinem besonderen komödiantischen Talent.

Wann ist man zu alt für die Maus?

Nie! Wir wissen, dass viele Kinder zusammen mit den Eltern schauen, aber auch mit den Großeltern. Die spielen dabei überhaupt eine große Rolle. Von daher ist man nie zu alt für die Maus. Auch nicht als Darsteller

Herr Biemann, Sie haben in den letzten Jahren eine Reihe von Büchern veröffentlicht. Sind sie mittlerweile mehr Autor als Fernsehmann?

Ich war schon immer Autor oder vielmehr beides. Schließlich muss man viel schreiben bevor man drehen kann, ein Drehbuch zu Beispiel. Ich muss schon immer eine Menge schriftliche Arbeit erledigen bevor ich vor die Kamera treten kann

Warum ist Lesen so wichtig?

Beim Lesen entstehen nicht nur Bilder im Kopf und es wird eine Reise durch die Phantasie. Wenn man ein Buch wieder in die Hand nimmt, dann nimmt auch einen Faden wieder auf. Es ist mein Ehrgeiz, Wissen in einer ansprechenden Form weiterzugeben und dass meine Leserinnen und Leser hinterher klüger sind als vorher.

Deswegen halte ich es für wichtig, dass Kinder viel lesen und sich nur dosiert vor einen Bildschirm setzen. Dabei meine ich mit Bildschirm nicht nur den Fernseher.

Warnt der Fernsehmann Biemann vor dem Fernsehen?

Nein, es muss da andere Lösungen geben. Ich denke, dass es auf die Kombination ankommt. Lesen fördert die Kompetenzen und Fähigkeiten der Kinder. Fernsehen und andere Medien mit  Bildschirm vermitteln Wissen. Dabei kommt den Eltern eine Vorbildfunktion zu. Diese sollten auch mal selbst ein Buch in die Hand nehmen, nicht nur mit den Kindern lesen und auf ihr Medienverhalten in der Gegenwart der Kinder achten.

Letzte Frage: Wie stellen Sie den Nachschub an grünen Pullovern sicher?

Ich muss zugeben, dass es eine Zeit lang schwierig war. Aber nun gibt es ja diese Shops, bei denen man alle möglichen Sachen bedrucken lassen kann und die haben auch immer grüne Pullover im Sortiment.

Vielen Dank für das Gespräch

Dienstag, 23. Februar 2021

Keine gute Krise ungenutzt lassen

Die Internationalen Händel-Festspiele Göttingen werden auch in diesem Jahr nicht zum gewohnten Termin rund um Pfingsten stattfinden. Das Festival wurde auf den September verlegt. 


Herr Wolff, wie schwer ist Ihnen die Entscheidung zur Verschiebung gefallen?

Nicht so schwer wie die Entscheidung im letzten Jahr. Die Situation war zu erwarten. Wir haben mit dem Aufsichtsrat seit Dezember immer wieder getagt. Und weil die Impfungen nicht so schnell vorangehen wie erhofft, haben wir uns nun zu diesem Schritt entschieden. Dabei spielen die Reisebeschränkungen für unsere Künstlerinnen und Künstler und auch unsere Gäste eine weitere Rolle. Niemand kann absehen, wie diese sich in den nächsten Wochen entwickeln. Zudem fehlen uns von einigen Spielstätten noch die Zusagen. So konnten wir den geplanten Vorverkauf im März nicht starten. Wir hätten bestenfalls regionale Händel-Festspiele feiern können. Aber das ist nicht unser Anspruch. Wir wollen ein internationales Festival sein. 

Was erwartet uns dann im September? 

Hoffentlich Händel-Festspiele mit Festival-Atmosphäre. Dazu gehört ein Beisammen sein, gemeinsames Anstoßen, Künstler zum Anfassen und die Möglichkeit, Gespräche führen zu können. Denn schließlich verkaufen wir zu 30 Prozent Festivalstimmung. Ohne die geht es nicht. Zudem möchten Laurence Cummings und ich einen gebührenden Abschied feiern. Also war “Keine Händel-Festspiele” keine Option. Wie es konkret aussehen wird, das hängt auch davon ab, wie schnell die Impfungen vorankommen


Tobias Wolff wird im September dabei
sein, 
die Stadthalle nicht.  Foto: Archiv

Sie werden also im September noch dabei sein?

Wir beide, Laurence Cummings und ich, werden wiederkommen und dabei sein. Zwar beginnt meine neue Tätigkeit in Leipzig im Sommer. Aber ich habe bereits eine Nebentätigkeitserlaubnis seitens der Stadt Leipzig erhalten.

Es ist ja auch eine besondere Situation für Jochen Schäfsmeier, meinem Nachfolger. Zwar hatten wir für ihn eine lange Einarbeitungszeit eingeplant, aber bisher konnte er noch keine Händel-Festspiele erleben. Und das Programm des Vorgängers zu übernehmen, macht ja auch keinen Spaß.

Wie stark wird die Corona-Krise die Kulturszene verändert?

Ich bin überzeugt, dass die Veränderungen sehr groß sein werden. Kein Veranstalter und keine Künstlerin oder Musiker wird sich noch auf die bisherigen „just in time“- Gepflogenheiten einlassen. Gestern Tokio, heute Göttingen und morgen New York, das wird es nicht mehr geben. Wir haben gelernt, wie empfindlich auch in der Kultur die Lieferketten sind. Diese funktionieren eben nur dann, wenn es keine Störungen gibt.

Auch wir als Veranstalter müssen uns Gedanken über Nachhaltigkeit machen. Wie sagte schon Churchill? Verschwende keine gute Krise. Wir werden uns von einigen Gewohnheiten verabschieden und Dinge hinterfragen, die wir bisher für selbstverständlich gehalten haben. Brauchen wir noch ein gedrucktes Programm? Diese Frage hätte man sich ohne Corona vielleicht erst später gestellt. Viele Antworten scheinen nun klarer. 

Wie wird sich die Krise auf die Musik auswirken?

Es zeichnet sich schon jetzt ab, dass es weniger Künstlerinnen und Künstler geben wird. Vermutlich werden wir das erst zu spüren bekommen, wenn die etablierte Generation in etwa 10 Jahren in den Ruhestand geht. Bis dahin wird das Defizit eventuell ein wenig abgefedert. Allerdings werden auch die Hochschulen überlegen müssen, ob und wie sie weiterhin ausbilden wollen. Zudem wird es für junge Menschen in Zukunft wesentlich schwerer sein, den Berufswunsch „Sängerin“ oder „Musiker“ vor den Eltern zu rechtfertigen.

Die klassischen Gräben zwischen der freien Szene und den öffentlich durchfinanzierten Häusern konnten in den letzten Jahren überbrückt werden. Das hatte den Kulturbetrieb durchaus befriedet. Aber während die Musikerinnen und Musiker in den öffentlichen Häusern von Kurzarbeit profitierten, hat die freie Szene seit fast einem Jahr keine Einkünfte mehr. Das reißt alte Gräben auf und lässt Verteilungskämpfe wieder aufleben. Und zwar nicht erst, wenn mit deutlich weniger Mitteln die kommunalen Haushalte neu aufgestellt werden.

Auch Laurence Cummings möchte einen
festlichen Abschied geben.
Foto: Händel-Festspiele 

Folkert Uhde hat einen völlig neuen Musikbetrieb vorhergesagt. Wie lange wird es dauern, bis sich Normalität einstellt?

 Die Krise wirft sehr lange Schatten. Wie groß die Schäden sein werden, kann ich nicht abschätzen. Es wurde auch viel Geld ausgegeben, um die schlimmsten Folgen abzufedern. Aber irgendwann wird bei Ländern und Kommunen gespart und die Erfahrung zeigt, dass in solchen Situationen immer zuerst bei der Kultur gekürzt wird.

Die Internationalen Händel-Festspiele Göttingen stehen aktuell vergleichsweise stabil da. Sorgen machen mir aber die Kulturinitiativen in der Fläche. Da brechen auch Strukturen weg. Diese Initiativen sind auf Ehrenamtliche angewiesen, die meist etwas älter sind. Ich denke, dass es noch schwerer wird, in den nächsten Jahren Menschen für ein kulturelles Ehrenamt zu motivieren.

Ist die Digitalisierung die Chance für den Konzertbetrieb?

Der digitale Raum ist kein Ersatz für die Atmosphäre eines Live-Konzertes, aber wir müssen den digitalen Raum ernst nehmen. Die ersten und schnellen Lösungen, die wir im vergangenen Jahr dort präsentiert haben, konnten sicherlich nur zum Teil überzeugen. Wir werden die digitalen Formate weiter ausbauen. Es wird aber schwer werden, auf diesem Wege Einnahmen zu generieren. Vor allem denke ich auch, dass dabei die Verbundenheit zum Beispiel über die Region eine große Rolle spielen wird, wenn es darum geht, für Streaming oder ähnliche Angebote ein Publikum zu gewinnen.

Was bleibt für ihren Nachfolger?

Herr Schäfsmeier hat wirklich erschwerte Startbedingungen. Erst konnte er trotz langer Vorlaufzeit keine Festspiele erleben. Nun muss er gewissermaßen parallel zu den Vorbereitungen auf den Herbst schon sein erstes Festival vorbereiten. Denn im Mai 2022 wird es hoffentlich wieder reguläre Händel-Festspiele in Göttingen geben.


Vielen Dank für das Gespräch



Material#1: Die Internationalen Händel-Festspiele - Die Website
Material#2: Die IHFgö bei facebook - Mehr aktuelles


Material#3: Die Festspiel in Halle - Die Website