Freitag, 18. Januar 2013

Bruhns: Ich würde mich erschießen


Wibke Bruhns ist eine Legend im deutschen Journalismus. Dementsprechend froh war ich, als ich ohne Umstände einen Termin auf der Lesereise "Nachrichtenzeit" bekam. Das Gespräch fand dann im Okotber 2012 in Göttingen statt. Direkt, offen, ohne Umschweife und ohne Euphemismen, die große Dame der Fernsehberichterstattung nimmt weniger denn je ein Blatt vor den Mund. Da können sich jüngere Kolleginnen und Kollegen einiges abschauen und ältere Kollegen können sich daran erinnern, wie man diesen Beruf ausfüllen sollte. Frau Bruhns verzichtete übrigens aufs Gegenlesen und erteilte die Freigabe sofort. Nobel.

Zwei berühmte Frauen in Göttingen. Foto: Kügler

Sie war die erste Moderatorin in der Männerdomäne Fernsehen. Mit „Nachrichtenzeit“ hat Wibke Bruhns nun ihre Erinnerungen an bewegte Zeiten in der jungen Bundesrepublik Deutschland vorgelegt.

Frau Bruhns, Nachrichtenzeit, ist das ihre Biografie oder ist es schlicht ein Rückblick?

Es ist eher ein Rückblick. Journalisten sollte es nämlich peinlich sein, ihre eigene Biografie zu schreiben. Deswegen habe ich mich auch schwer damit getan, diese Buch zu schreiben. Dieeigene Biografie zu schreiben, das erscheint mir absurd, so etwas machen nur die Kerle unter den Kollegen.

Ihr Vater wurde als Attentäter des 20. Julis von den Nazis hingerichtet. Später wurden sie immer wieder als „Verräterkind“ bezeichnet. Hat sie diese Erfahrung geprägt?

Nein, nicht das „Verräterkind“, das Täterkind hat mir mehr zu schaffen gemacht. Meine Mutter war im diplomatischen Dienst tätig. In Schweden durften Mädchen aus meiner Schule nicht mit mir spielen, weil ich eine Deutsche bin. Da war ich 12 und 13 Jahre alt. Das hat mir mehr zu schaffen gemacht. Später bin ich in Plön aus dem Internat geflogen, da hatte ich es auch ein wenig drauf angelegt. Der Direktor sagte bei meiner Verabschiedung, dass mein schlechter Charakter kein Wunder sei, mein Vater sei ja schließlich Hochverräter gewesen. Das hat mich zwar beeindruckt, aber es hat keine traumatischen Spuren hinterlassen.
Kein Geld zu haben, das hing damit unmittelbar zusammen. Die Strampeleien meiner Mutter, um ihre fünf Kinder auf die Schiene zu kriegen, das hat mich geprägt. Das Vermögen war durch die Ereignisse einfach weg und wir lebten durch die Zuwendung der Stiftung „Hilfswerk 20. Julis“, mal waren das Strümpfe, mal war das Schulgeld. Das hat mich wirklich geprägt.

Der Spiegel hat in der vergangenen Woche getitelt: 50 Jahre Spiegelaffäre – als die Deutsche lernten die Demokratie zu lieben. Seit wann lieben Sie die Demokratie?

Sicher vor der Spiegelaffäre. Da hat man sich schön empören können über diese Geschichte. Aber ich habe die Demokratie lieben gelernt, als sich mein kognitives Bewußtsein ausgebildet hat, als ich anfing zu denken.Das muss so am Ende der 50er Jahre gewesen sein. Davor war es die Petticoat-Zeit. Die fünfziger Jahre waren schon heftig, da wurde extreme Anpassung gefordert gerade von junge Mädchen.
Das änderte sich an der Universität nicht. Auch dort wurde mit vielen Themen restriktiv umgegangen, schließlich waren die Hochschulen voll besetzt mit alten Nazis, das regte geradezu zum Widerspruch an.

War Politik damals einfacher?

Sie war zumindest leichter zu begreifen, im wörtlichen Sinne. Die Ost-West-Verträge zum Beispiel, da hatte man was zum Anfassen. Durch die Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte waren wir sensibilisiert und mussten aber auch häufiger Stellung beziehen.
Heute ist die Welt, wie wir sie kennen, hochgradig bedroht, aber auch globalisiert. Dadurch wird die Politik diffuser. Verstehen sie den ESM? Ich nicht jedenfalls nicht so recht.Aber ich traf gestern eine junge Frau an einem Info-Stand, die wollte mir den Rettungsschirm und die Bedrohung der Demokratie erklären. Das findet ich toll, dass sie sich mit so ein hoch komplexes Thema kümmert.

Adenauer, Brandt, Strauß. Die junge Bundesrepublik war geprägt von Persönlichkeiten. Wo sind die Heute?

Die Personen, die heute Politik machen, die haben eine ganz andere Biografie. Das gilt aber auch für viele Journalisten. Brandt, Schmidt oder Strauß, die hatten Exil-Erfahrung oder Fronterfahrung, das prägt. Wenn sie dagegen das Leben von Helmut Kohl betrachten, stellen sie fest, dass der nie wirklich gearbeitet hat sondern sein ganzes Leben nicht anderes gemacht hat als Politik.

Angela Merkel gilt als Ziehkind von Helmut Kohl. Geben Sie doch mal einen Tipp ab: Ist Frau Merkel auch nächstes Jahr um diese Zeit noch Kanzlerin?

Angela Merkel hat solch ein Beharrungsvermögen, die wird auch 2030 noch Kanzlerin sein. Probleme sitzt sie aus. Egal ob Koch oder Wulff, die Herrenriege, die ihr hätte gefährlich werden können, die hat sie weggeräumt.

Sie waren die erste Nachrichtenmoderatorin des ZDF. Heute gibt es viele Frauen im deutschen Fernsehen und in der Politik. Habe es Frauen heute einfacher?

Nein, ich denke nicht. Es gibt als viele Frauen im Fernsehen und in der Politik, aber die wenigsten haben die Hand auf dem Geld. Ursula von der Leyen, die gefällt mir, die hat Haare auf den Zähnen. Ja, es gibt bei den Medien viel mehr Frauen als früher, das stimmt schon. Aber keine hat einen maßgebenden Posten, wenn man mal von Frauenzeitschriften absieht. Die Männer hängen immer noch an den Posten. Genau genommen ist bisher null passiert und eshalb bin ich vor einem Jahr zum ersten Mal in meinem Leben einem Verein beigetreten, nämlich „Pro Quote“. Ohne Frauenquote kommen wir nicht aus.

Christian Ströbele hat zugegeben, dass Politik süchtig macht. Wie süchtig macht Berichterstattung über Politik?

Ich denke schon, dass es ordentlich süchtig macht. Aber ich mache ja nicht mehr so viel. Wir konnten damals aus dem Vollem schöpfen, wir hatten Zeit und Geld um ordentlich zu recherchieren. Da kann ich aus Dankbarkeit eine Kerze anzünden. Wenn ich heute online arbeiten müsste und alle zwei Stunde die selben Nachrichten in neuen Worten bringen müsste, da würde ich mich doch glatt erschießen.

Frau Bruhns, ich danke Ihnen für das Gespräch.

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