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Auch wir müssen uns um schmutzige Socken kümmern

Kim & Roy verabschieden sich aus der Öffentlichkeit

Mit bürgerlichen Namen heißen sie Lothar und Thomas Finze. Bekannter sind sie als das Travestie-Duo „Kim & Roy“. Gemeinsam haben sie vieles geleistet für die Anerkennung homosexueller Lebensgemeinschafen und Ehen. Am 15. April verabschieden sie sich nach 33 Jahren von der Bühne. Ich sprach mit ihnen über Widerstände, Erfolge und Freundschaften. 


Was war schwerer? Anfangen oder aufhören? 

Lothar: Der Anfang war eindeutig leichter, trotz einiger Widrigkeiten und der hohen Investitionen. Mein Vater hat uns gewarnt, dass wir nicht vorsichtig umgehen sollen mit dem Geld. Thomas hat die Kleider genäht und es war ein riesiger Aufwand, die Musik zu den einzelnen Programmen auf die Kassetten zu bekommen. Aber die Begeisterung hat uns getragen.

Mein Vater ist dann aber unser größter Fan geworden. Er hat bis tief in die Nacht gewartet, um uns nach jedem Auftritt zu fragen wie es gelaufen ist. 


Thomas (hi.) und Lothar Finze und ein
Strauß roter Tulpen.
Foto: Thomas Kügler 
Wo fand der erste Auftritt statt? 

Lothar: Das war in Lasfelde in einer Garage bei einer Geburtstagsfeier. Die Gastgeberin von damals schaut immer noch einmal vorbei und fragt, ob wir uns noch daran erinnern können.


Wann kam der Entschluss, auf die große Bühne zu gehen?

Thomas: Bis 1998 haben wir die Travestie nebenberuflich gemacht neben der Gastronomie. Dann hatten wir die Möglichkeit, uns selbstständig zu machen. Weil wir davon ausgegangen sind, dass es mit der Travestie nicht so weitergeht, dass die Nachfrage irgendwann nachlässt, haben wir das Schlosscafé in Herzberg übernommen. 

Lothar: Das Erstaunlich war aber, dass es mit der Travestie doch so fantastisch weiterging. Die Leute haben immer wieder und immer wieder nachgefragt „Könnt ihr nicht...?“. Also haben wir Gastronomie und Travestie parallel gemacht. Manchmal bin ich direkt aus der Küche auf die Bühne gegangen. 


Kann es ein größeres Lob geben?

Lothar: Nein. 


Was hat den Erfolg vom Kim & Roy ausgemacht?

Thomas: Der direkte Draht zum Publikum, die Kommunikation mit unseren Gästen. Es gibt Künstler, die machen ihre Programme konsequent, unabhängig davon, wer im Parkett sitzt. Das war bei uns nie so.  Wir gehen immer auf das Publikum.

Der zweite Grund ist das Niveau. Wir haben weitestgehend auf Sprüche unterhalb der Gürtellinie verzichtet

Lothar: Zudem haben wir eine klare Rollenteilung. Thomas ist eher der Comedian mit einer Portion Selbstironie und ich bin für die nachdenklichen Teile zuständig. Wir Travestiekünstler sind ganz normale Menschen mit alltäglichen Problemen. Auch wir müssen uns um Dinge wie schmutzige Socke kümmern. 


Wie groß ist die Chance auf ein Comeback? 

Thomas: Null. Nach dem 15. April ist definitiv Schluss. Unser Publikum soll sagen ‘Schade, dass sie gehen“ und nicht ‘Es ist Zeit, dass sie gehen.“


Warum gibt es die Abschiedsgala?

Lothar: Ich stehe schon seit einiger Zeit nicht mehr auf der Bühne. Nun feiere ich in diesem Jahr meinen 70. Geburtstag und will mich mit einer großen Show und Pomp verabschieden.

Bild aus alten Tagen
Foto: Carte Rouge


Sehen sich Kim & Roy als Pioniere?

Lothar: Das sind wir definitiv. Aber auch wir haben dazugelernt, haben gesehen, dass es an vielen Stellen gar nicht die Widerstände gab, über die wir uns vorher Gedanken gemacht haben. Wir haben ab er auch oft genug erlebt, dass Zuschauer, also männlich Zuschauer, nach der Show zu uns kamen und sic bedankt und sie gerne wiederkommen werden 

Thomas:  Unser Projekt eines Cabaret in Hannover ist wegen eines Formfehlers unseres Maklers gescheitert. Die Stadtverwaltung hat uns die Konzession verweigert. Also haben wir das Carté  Rouge eben in Badenhausen eröffnet. Es wurde ein Erfolg, weil die Menschen auch in die Provinz fahren, wenn sie wissen, dass es gut ist, was ihnen dort geboten wird.


Was wird bleiben?

Thomas: Die Gewissheit, dass die Jahre auf der Bühne ein toller Teil meines Lebens bleiben werden. Ich werde auch die Akzeptanz für unsere Kunst in Erinnerung behalten und die Tatsache, dass wir gerade als Überraschungsgäste viele davon überzeugen konnten, dass Travestie nichts anrüchiges ist.

Lothar: Das Carté Rouge ist ein Teil unseres Vermächtnis und besonders stolz sind wir auf Ricky, unser künstlerisches Ziehkind. Er oder sie, je nachdem, ist ein hochwertiger Travestiekünstler geworden. Das war ein langer und harter Prozess, denn anfangs haperte es durchaus im musikalischen Bereich.
Aber es hat sich gelohnt und im Laufe der Jahre hat sich das Verhältnis in Detailfrage gedreht. Deswegen sind wir besonders froh, dass Ricky am 15. April die Moderation übernimmt.


Was wird an persönlichen Bindungen bleiben?

Lothar: Wenig. Aber das ist ganz normal, denn wir alle hab en zwar viele Bekanntschaften und nur wenige echte Freunde. Diese wenigen Freundschaften werden von uns weiterhin gepflegt.


Vielen Dank für das Gespräch.




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