Sonntag, 6. September 2015

"Ich war wie befreit"

Purple Schulz im Interview mit Sandra Witzel

Dieses Gespräch hätte ich auch gern geführt. Schließlich gehörte Purple Schulz zu den Idolen meiner Jugend: locker-leichte Pop-Musik mit intelligenten Texten, immer politisch, aber leider immer unterbewertet von Feuilleton.

Doch das große Glück hatte die Kollegin Sandra Witzel vom Offenen Kanal Nordhausen, es sei ihr gegönnt. Ich habe das Glück, es übernehmen zu dürfen. Hier nun das Gespräch in Auszügen.

Was macht Purple Schulz aus ?

In meinen Konzerten wird gelacht UND geweint. Ich singe über Dinge, über die andere oft nicht mal sprechen. Es sind aber nicht nur die sehr emotionalen Geschichten, die ich erzähle, sondern auch die Bandbreite bei deren musikalischer Umsetzung. Schon bei "Sehnsucht" und "Verliebte Jungs" war offenkundig, wie weit diese zwei Titel auseinander liegen. Was mir an den Konzerten aber am wichtigsten ist: dass niemand so nach Hause geht, wie er ge-kommen ist.

Warum hat es bis zum Erscheinen des aktuellen Albums "So und nicht anders!" so lange gedauert? 

Das ist dem Umstand geschuldet, dass ich mit meinem langjährigen Partner Josef Piek 33 Jahre zusammen gearbeitet habe und wir zwei auf der Bühne auch schon als altes Ehepaar bezeichnet wurden. Und wie es eben bei einem alten Ehepaar so ist, kann man sich auch auseinander leben. Wir waren in der ganzen Zeit zwar wahnsinnig viel unterwegs und haben uns in viele Projekte gestürzt. Allein mit Heinz Rudolf Kunze waren wir in einem Quartett vier Jahre unterwegs, und das war wirklich sehr lustig. Aber Josef und ich haben uns oft nicht einigen können, was die Texte anging. Nach 33 Jahren haben wir uns schließlich getrennt, damit hat sich bei mir ein Knoten gelöst und auf einmal kamen ganz viele Stücke aus mir heraus, zu denen ich dann mit meiner Frau Eri die Texte geschrieben habe.
Er war nie richtig weg: Purple Schulz kommt nach

Hordhausen. Foto: Veranstalter

Ist das neue Album gleichzusetzen mit einem Neuanfang? Ich habe ja nie aufgehört, Musik zu machen. Aber dieses Album ist das erste, bei dem ich keine Kompromisse eingegangen bin. Wenn man in einem Duo zusammen spielt, muss man sich immer auf irgendetwas einigen. Aber "So und nicht anders!" wollte ich schon mein ganzes Leben lang machen. Insofern ist es auch so etwas wie ein Debütalbum und hat damit etwas zu tun, sich selbst zu finden. Jetzt ist es passiert, das Album ist draußen, ich bin auf Tour und nur noch unterwegs. Dieses Jahr sollte noch das nächste Album erscheinen, aber stattdessen erscheint im November erst einmal ein Buch, in dem ich mich mit dem Thema Sehnsucht auseinander setzen wollte, denn es ist ja der Song, dem ich meine meisten Erfolge zu verdanken habe. Seitdem sind 30 Jahre ins Land gegangen und ich habe mich gefragt, was mit unseren Sehnsüchten passiert ist und wie sie sich in den letzten 30 Jahren verändert haben.Da gab es ja auch so einige Revolutionen.

Gibt es heute andere Sehnsüchte als vor 30 Jahren?

Ich denke schon, dass man mit dem Schrei: "Ich will raus!" vor 30 Jahren so einen großen Erfolg haben konnte, weil viele Menschen tatsächlich einfach nur raus wollten. Es gab da große Bewegungen - die Antiatomkraftbewegung oder die Friedensbewegung. Mittlerweile wollen die Leute aber wieder rein, weil sie dazugehören wollen, aber ausgeschlossen sind, weil sie keinen Job und kein Geld haben, um am kulturellen und gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu können.

Ist Purple Schulz politisch?

Das war er schon immer. Man muss sich ja auch Sorgen machen um den Zustand dieser Welt- das ist ja mittlerweile ein Irrenhaus! Und es ist völlig klar, dass viele Menschen versuchen, hierher zu kommen, wo sie ein Leben in Frieden und Freiheit führen können. Wie wir jetzt damit umgehen, das ist ein Riesenproblem, das seit Jahren absehbar war. Wir haben uns nicht richtig darauf vorbereitet, obwohl viele Stimmen gewarnt haben. Stacheldraht und Mauern an den Grenzen Europas sind keine Lösungen. Wir müssen mit großer Empathie und visionärer Kraft reagieren. Wir können diese Menschen ja hier gebrauchen, wenn wir ihnen Arbeit geben und sie ausbilden und damit einiges, was diesem Land in der Zukunft droht, verhindern. Uns fehlen Pflegekräfte - wir können was draus machen und nicht immer zu fragen, was das alles kostet. Es kostet am Anfang immer was, das ist klar! Also - kümmern wir uns um die Leute, nehmen wir sie auf und geben wir ihnen eine Perspektive.

Kommen wir wieder zurück zur Musik und zum Album. Besonders berührt hat mich das Lied "Fragezeichen". Hast Du Erfahrungen mit der Erkrankung Demenz gemacht?

Ja, als ich 8 Jahre alt war, konnten meine Eltern meine Großeltern nicht mehr rund um die Uhr pflegen und gaben sie damals in ein sogenanntes Altersheim. Als ich sie dort das erste Mal besuchte, kam mir ein bestialischer Gestank entgegen, was meine erste Begegnung mit dem Alter war. Ich dachte als Kind, wir werden alle mal so, wenn wir alt sind. Jahrzehnte später erkrankte mein Vater an Parkinson mit einhergehender Demenz. Ich konnte den Verlauf der Krankheit sehr gut beobachten und habe dies dann in einem Video umgesetzt. Es macht mich sehr froh, dass dieses Video mittlerweile jungen Pflegeschülerinnen gezeigt wird, um ihnen zu vermitteln, was Demenz eigentlich ist.
Am 19. September kommst Du nach Nordhausen. Was verbindet Dich mit Ostdeutschland?

Ganz ganz viel. Ich war 1988/89 in der DDR unterwegs und gerade im August 1989 merkte man, dass es brodelte und kochte, dass etwas passieren wird und ich bin sehr dankbar dafür, dass ich das vor Ort erleben sein durfte. Ich habe erst bei meiner Ankunft in der DDR erfahren, welche Bedeutung "Ich will raus" aus dem Titel "Sehnsucht" in der DDR hatte. Zwischen 1990 und 2000 spielte ich 80 % meiner Konzerte in Ostdeutschland.

Worauf kann sich das Publikum zu Deinem Auftritt hier in Nordhausen freuen?

Auf die Songs aus dem letzten Album "So und nicht anders!". Aber natürlich werden auch die vielen alten Hits dabei sein, das ist völlig klar. Denn denen habe ich zu verdanken, dass ich heute überhaupt auf der Bühne stehen kann. Ich liebe es mit meinem Duoprogramm aufzutreten, denn da kann ich zwischendurch auch Hintergrundgeschichten erzählen zu den alten Hits, denn wenn man sie nur so singt, könnte es irgendwann langweilig werden. Man sollte aus dem Konzert heraus kommen und merken, dass es etwas mit Einem gemacht hat.

Vielen Dank für das Gespräch

Gern.


Für alle, die lieber Hören, hier das Interview in der gesamten Länge und im Stream.

Am 19. September spielt Purple Schulz im Rahmen des 10. poeTon-Festival in Nordhausen.
Die Website des Bürgerradio OKN

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