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"Hilbert hatte seine Finger überall drin"

Interview mit Georg von Wallwitz

„Meine Herren, dies ist keine Badeanstalt“ ist die Biographie des Göttinger Mathematiker David Hilbert. Am 12. Oktober stellt der Autor Georg von Wallwitz sein Buch beim Göttinger Literaturherbst vor.
Im Februar 2013 hatten wir uns über Odysseus und die Sicherheiten an der Börse unterhalten. In diesem Jahr Ich sprach mit ihm den Reiz der Mathematik, den Wissenschaftsbetrieb und die Bedeutung Göttingens für das 20. Jahrhundert.

Herr von Wallwitz, warum haben Sie sich für David Hilbert entscheiden und nicht für einen anderen Mathematiker?

Hilbert hat sehr viele wissenschaftliche Entwicklungen, die das 20. Jahrhundert geprägt haben, beeinflusst und gefördert. Ob nun Einstein oder die Physiker, die die Quantenmechanik entwickelt haben oder auch am Bau der Atombombe beteiligt waren, alle waren sie bei Hilbert in Göttingen. Dort haben sie nicht nur rechnen gelernt, dort haben sie sich wichtige Impulse geholt. Er muss eine inspirierende Persönlichkeit gewesen sein und er hat die Weise geprägt, wie in Physik und Mathematik gedacht wurde. Man könnte auch sagen, dass Hilbert seine Finger überall drin hatte.

Am 12. Oktober lesen Sie in Göttingen in der alten Bibliothek. Hat das eine besondere Bedeutung für Sie?

Die Gedanken klar, das Bild verschwommen: Georg von
Wallwitz.      Foto: Verlag
Diese Lesung ist schon etwas besonderes und ich freue mich darauf. Ich gehe davon aus, dass es dieses Mal ein anderes Publikum ist, nicht nur Fachleute. Denn mathematisch gesehen bin ich, trotz meines Mathematikstudiums, immer ein Dilettant geblieben und ich habe vor allem die Themen bearbeitet, die zum nichwissenschaftlichen Umfeld gehören.

Was macht Mathematik so sexy?

Sie steckt überall drin und sie bietet Lösungen an Stellen, wo man sie niemals vermutet. Neulich habe ich auf einer Lesung die Hilbert-Kurve vorgestellt als Beispiel für reine Mathematik ohne praktische Anwendung. Doch dann hat mich ein Mann aus dem Publikum eines Besseren belehrt. Er hat erklärt wie man die Hilbert-Kurve einsetzt, um die Relaisstationen für den Mobilfunk der 5 Generation optimal aufzustellen. Das ist doch faszinierend. Da hat jemand schon vor 120 Jahren eine mathematische Lösung für ein Problem der Gegenwart gefunden.
Davon gibt es eine ganze Reihe von Beispielen. Ohne Leibniz und seine Theorie eines binären Zahlensystems wären Computer nicht denkbar – auch wenn die Erbauer der ersten Computer davon keine Ahnung hatten. Da liegen also Unterlagen 300 Jahre in einem Archiv in Hannover und dann sind sie die Lösung für ein Problem des 21. Jahrhunderts. Das ist, als ob sie einen Dialog mit der Vergangenheit führen.

Warum sind Mathematiker aber keine Pop-Stars mehr?

Auch das hat was mit Göttingen zu tun. Gauß hat hier vor etwa 200 Jahren die Mathematik auf ein neues Niveau gebracht. Mit der reinen Mathematik ging die Anschaulichkeit verloren. In den Schulen ist das Rechnen geblieben, aber die Mathematik verschwand im Elfenbeinturm. Das man als Laie, wie zum Beispiel Fermat, die Entwicklung dieser Wissenschaft beeinflussen könnte, das geht heute nicht mehr.

Was müsste passieren, damit die Mathematik wieder begeistern kann?

Die Didaktik, die Vermittlung muss sich ändern. Die Mathematik muss wieder greifbarer und problemorientierter werden und erklären, warum sie wichtig ist. So abstrakt wie sie ist, geht sie an vielen vorbei. Mathematik muss aus meiner Sicht auch in den historischen Kontext gestellt werden, mehr von sich selbst erzählen. Narrativer werden, ist in diesem Zusammenhang eine gern verwendete Formulierung.

Die Gedanken genauso klar, das Bild
aber schärfer: Hilbert in der Badse.

Foto: Kügler
Wo sind die Grenzen der Mathematik? Lassen sich Börsenkurse wirklich vorausberechnen?

Wie gesagt, Mathematik steckt überall drin. Aber ihre Grenzen zu erkennen, ist sehr schwer. Die Probleme treten meist auf, wenn euphorische Laien auf den Plan treten. Trotz ihrer Begeisterung verstehen sie meist nicht wirklich, was mathematisch passiert, und deswegen verstehen sie auch nicht, wo die Grenzen sind. Mathematik steckt in Allem, aber Mathematik ist nicht das Ganze. Das Leben ist bunt und nicht immer berechenbar.

Die Auseinandersetzung um die Berufung von Emmy Noether war eine Kraftprobe für Hilbert. Haben Frauen heute einen besseren Stand an den Universitäten?

Um das zu beurteilen bin ich der Falsche. Ich stecke nicht im Wissenschaftsbetrieb drin und bin darüber glücklich. Wie die MeToo-Debatte gezeigt hat, gibt es auch in der Wissenschaft Abhängigkeiten, die ausgenutzt werden.
Aber ich denke, dass ein Talent wie Emmy Noether heutzutage von fast jeder Universität auf der Welt mit Kusshand genommen würde.

Schauen wir mal auf Gödel und Cantor. Erhöht die Beschäftigung mit der reine Mathematik das Risiko Nervenheilanstalt signifikant?

Hilbert hatte einen ganz normalen Nervenhaushalt. Aber neben den beiden Genannten gibt es noch einige prominente Beispiele. Vielleicht liegt es daran, dass Mathematiker häufig eine Inselbegabung haben, die sie vom Rest der Welt trennt. Dann gibt es noch die Gefahr der Depression, denn jenseits der 50 verwalten Mathematiker in aller Regel nur noch ihre Errungenschaften. Ihnen fehlt einfach die Inspiration der Jugend. Hilbert hat hingegen mit über 60 noch wichtige Erkenntnisse geliefert. Vielleicht lag es daran, dass er ein Spätberufener war.

Vielen Dank für das Gespräch.




Material #1: Meine Herren, die ist keine Badeanstalt - Das Buch
Material #2: Der Literaturherbst - Die Lesung

Material #3: Georg von Wallwitz - Die Biografie
Material #4: Wir würden keine Hungersnöte verhindern - Das Interview 2013




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