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Für eine Retrospektive ist man immer zu jung

Olaf Martens über Fotografie, Inszenierung und Provokation

Er gehört zu den wichtigsten Fotografen Deutschlands. Aufgewachsen ist Olaf Martens in Nordhausen. Nun gibt er dort an gleich drei Standorten einen Einblick in sein Werk. Wir sprachen mit ihm über Fotografieren im geteilten und vereinten Deutschland.

Herr Martens, was bedeutet Ihnen die Ausstellung in Nordhausen?

Sehr viel. Ich bin oft da. Meine Eltern leben in Nordhausen und mein Bruder wohnt in Auleben. Außerdem hat im Fotoclub Nordhausen alles begonnen. Wie mein Studienfreund Neo Rauch ist es auch mir wichtig zu den Wurzeln zurückzukehren. Neo ist nach Aschersleben zurückgegangen und ich besuche regelmäßig Nordhausen.

Ist die Ausstellung ihre erste Retrospektive?

Nein, dafür ist man immer zu jung. Aber eine Ausstellung in dieser Form habe ich noch nicht gemacht. Ich musste viele meiner alten Arbeiten sichten und auswählen. Leider hat man dafür derzeit eben zu viel Zeit. 

Martens Hyperrealismus: Märchenhafte
Inszenierungen trifft auf 
Realität.

Was ist das Besondere an dieser Ausstellung?

Es ist das dezentrale Konzept mit gleich drei Standorten. In der Flohburg geht es vor allem Arbeiten aus der Vergangenheit, viele Fotos aus dem Nordhausen der frühen 80-er Jahren und aus Halle und anderen Orten.
In der Stadtbibliothek hängen vor allem Portraits. Da sind durchaus bekannte aber auch weniger bekannte Gesichter zu sehen. Besonders das Bild mit Rainer Langhans hat es mir persönlich angetan.
Im Kunsthaus gibt es dann einen Einblick in meine aktuellen Werke und vor allem in den Produktionsprozess. In einem Raum haben wir viele Fotos, die am Set entstanden sind. Die Bilder zeigen die Beleuchter, die Visagisten und alle Menschen, die man sonst nicht sieht. ein anderer Raum zeigt Fotos die eigentlich überbelichtet sind, aber dadurch zu einer neuen Aussage führen. Manchmal macht der Zufall die besten Bilder. Aber wir zeigen auch Fotos aus den aktuellen Projekten wie “Decamerone”.

Ihre frühen Bilder sind Reportagen in Schwarz-Weiß. Waren Sie damals ein Berichterstatter des Alltags?

Die Entscheidung für Schwarz-Weiß war vor allem eine ökonomische Entscheidung. Außerdem war in der DDR der Zwang zum Realismus in der Fotografie die Doktrin. Aber selbst damit konnte man anecken oder provozieren. Ich habe schon als Schüler sehr viel Ärger bekommen weil ich zwei Fotos von Schrotthaufen in das Schaufenster unseres Fotoclubs gehängt hatte. Am nächsten Tag waren die Bilder spurlos verschwunden und tauchten nie wieder auf.
Um zum Thema Farbe zu kommen. Meine Diplomarbeit war komplett farbig und zwar auf dem Foma-Papier aus Tschechien. Das war damals noch auf Baryt-Basis und ich konnte im Labor feinste Nuancen herauskitzeln. Selbst Helmut Newton war davon so beeindruckt, dass er mich als Laboranten engagieren wollte. Das Angebot habe ich aber abgelehnt, weil ich es mir schlicht und einfach nicht zugetraut habe.

Wie sind Sie zur Fotografie gekommen?

Meine Mutter hatte mir eine Kamera geschenkt und einen Vergrößerungsapparat. Anfangs habe ich Poster und Plattencover aus dem Westen abfotografiert, vergrößert und verkauft. Motive mit Udo Lindenberg liefen am Besten. Damals war ich wohl der größte Dealer in Nordhausen, aber das hat mir irgendwann nicht mehr gereicht. Ich wollte was Eigenes machen und nicht ständig reproduzieren.

Wie beschreiben Sie ihren eigenen Stil?

Als Hyperrealismus. Es sind märchenhafte Inszenierungen, in die die Realität immer wieder eindringt mit Zitaten oder mit Details. Mich fasziniert heute noch die Bildsprache von Rainer Werner Fassbinder. Aber auch die Serie, die Steven Meisel nach 9/11 für die italienische Vogue gemacht hat, beeindruckt mich.

Martens kehrt zu den Wurzeln zurück.
Alle Fotos: Olaf Martens

Bis auf wenige Ausnahmen ist ihr Motiv immer der Mensch. Warum?

Der Mensch ist das Maß aller Dinge. Ich wollte nie Landschaftsfotografie oder Stilleben machen. Mir ist die Kommunikation zwischen den Menschen wichtig, das Austauschen von Ideen, das Teilen von Geschichten, auf Dinge eingehen, denn in unseren Emotionen gleichen wir uns alle.

Erzählen Sie Geschichten mit ihren Fotos?

Ja.

Was ist die Konstante in Ihren Werk?

Die Provokation und die Kritik. Obwohl ich aus der DDR komme, fühle ich mich den Ideen der 68-er verbunden. Ich hatte das Glück, viele ihrer Protagonisten nach der Wende kennengelernt zu haben und mit einigen durfte ich sogar arbeiten.
Die Provokation funktioniert auch in der Modefotografie. Es ist eine Frage der Inszenierung, eine Frage des Orts. Auch die Opulenz meiner Bilder ist immer wieder gebrochen. Dahinter stecken Geschichten, die zum Nachdenken anregen.

Vielen Dank für das Gespräch.




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