Sonntag, 15. Juni 2014

Die totale Hingabe an den Beruf

Sportjournalist Ludger Schulze über Philipp Lahm, die Nationalmannschaft und die Spielmacher im deutschen Fußball

Rechtzeitig zum WM-Geschäft erschienen die beiden Bücher, die in den letzten Jahren für die meiste Aufregung unter Deutschlands Fußballer gesorgt hatten, in einer Neuauflage. Für mich war die Klammer für beide Werke Ludger Schulze. Der langjährige Sportchef des Süddeutschen Zeitung hatte zum einem Buch das Nachwort geschrieben. Zum anderen Buch hielt er im Dezember 2012 die Laudatio bei der Preisvergabe als Sportbuch des Jahres. Deswegen nahm ich das Angebot des Verlags, ein Interview zu führen, dankend an.
Nach beiderseitigen Spielabsagen aus Krankheitsgründen klappte dann nach vier  Wochen Hin und Her doch. Hier sind seine Antworten auf meine Fragen zu Philipp Lahm, die Nationalmannschaft und deutsche Chancen und deutsche Journalisten


Wer ist wegen des Nachworts auf Sie zugekommen? Der Verlag und Philipp Lahm? 
Der Kunstmann-Verlag.

Wie bewerten Sie die „Ehre“ die Autobiografie eines der besten deutschen Fußballer abrunden zu dürfen? 
Sie haben das Wort Ehre zu Recht in Anführung gesetzt – es handelt sich nämlich eher um Freude. Ich habe die Karriere von Philipp Lahm genau verfolgt. Mir ist besonders gut in Erinnerung die Nacht nach dem verlorenen „Finale dahoam“ gegen Chelsea, als ich Philipp zum ersten Mal so gut wie sprachlos erlebt habe. Und ich habe ihm ein Jahr später in London, beim Bankett nach dem siegreichen Endspiel der Champions League gegen Borussia Dortmund, seine grenzenlose Erleichterung darüber angemerkt, dass er einen bösen Ruf abgelegt hat: gemeinsam mit Bastian Schweinsteiger als Anführer einer Generation der Verlierer zu gelten. Und darüber habe ich mich, ganz unjournalistisch subjektiv, sehr gefreut.

Sie kennen Philipp Lahm näher. Wie wird die nächste Stufe seiner Karriere aussehen?

Über diesen Fußballer äußert sich
Schulze lobend. Foto: Verlag
Ich habe ihn schon 2003 kennengelernt als jungen Verteidiger beim VfB Stuttgart. Und als den höflichsten und einen der gescheitesten Profifußballer während meiner mehr als 35-jährigen journalistischen Laufbahn. Jedes einzelne der vielen Interviews mit Philipp ist stets ein über das berufliche Interesse hinausgehendes Vergnügen gewesen. Philipp wird noch sehr lange Fußball spielen; seine Fitness, seine Professionalität, sein sorgsamer Umgang mit den körperlichen Ressourcen und seine Spielweise eröffnen ihm die Möglichkeit, auch mit Ende 30 noch Spitzensportler zu sein. Im Anschluss daran wird er eine zweite Karriere im Fußball machen, vermutlich als Trainer, vielleicht als Manager oder was auch immer. Auf jeden Fall wird er auch da außergewöhnlich erfolgreich sein.

Was können auch Nicht-Fußballer von Philipp Lahm lernen?
Die totale Hingabe an den Beruf. Bescheidenheit. Das Wissen darum, woher man kommt. Und die Fähigkeit, durch Freundlichkeit und gutes Benehmen andere für sich zu gewinnen.

Wird er die deutsche Nationalmannschaft in Brasilien zum Titel führen?
Ich fürchte nein. Wäre die WM in Europa, stünden die Chancen ziemlich gut. Aber die klimatischen Bedingungen in Brasilien – Wärme und Luftfeuchtigkeit – , die Anstoßzeiten in der prallen Mittagshitze, der aus den weiten Reisen resultierende Stress machen den Heimvorteil der Südamerikaner noch größer. Zudem ist der schnelle, laufintensive Spielstil der Deutschen nicht eben förderlich. Und zu alledem kommt noch der Ausfall von Marco Reus hinzu, der das Zeug zu einem Superstar des Turniers gehabt hätte.

Wenn nicht Deutschland den Titel holt, wer dann?
Brasilien. Argentinien. Oder in einem letzten Kraftakt Spanien.

Über dieses Buch äußert sich
Schulze lobend. Foto: Verlag
Hier „Der feine Unterschied“, dort „FIFA Mafia“. Welche Seite zeigt das wahre Gesicht des Fußballs? 
Der Fußball hat viele Gesichter. Beide Bücher beschäftigen sich mit sehr unterschiedlichen Aspekten. Aber die aktuellen Geschehnisse um diese komplett versaute FIFA zeigen, wie richtig und wie notwendig Thomas Kistners investigatives Buch „FIFA Mafia“ war.

Wie bewerten Sie die „Ehre“ die Laudatio für ihren Kollegen Thomas Kistner halten zu dürfen?
Ich hatte das Vergnügen, als Ressortverantwortlicher der Süddeutschen Zeitung mit Thomas Kistner 17 Jahre lang zusammenarbeiten zu dürfen. Er ist einer der wichtigsten, weil mutigsten Journalisten in Deutschland. In alle diesen Jahren hat er sich nie gescheut, Mißstände aufzudecken. Und er hat sie überall gefunden, in der Sportpolitik, beim Doping, in FIFA wie DFB und auch beim IOC. Das hat ihm viel Ärger eingebracht von jenen, die sich ertappt fühlten. Und selbst in der eigenen Branche, unter Journalisten, haben viele Kistners Darstellungen für übertrieben gehalten. Weil sie zu faul, zu desinteressiert oder zu verstrickt waren, um den Dingen selbst auf den Grund zu gehen. Es ist mir eine Genugtuung, dass Thomas Kistner in jedem Punkt, in wirklich jedem Punkt Recht bekommen hat. Und deshalb war mir die Laudatio nicht nur ein Vergnügen, sondern in der Tat eine Ehre.

Vor zehn Jahren haben Sie mit "Die Spielmacher" selbst einen Blick hinter die Kulissen des Fußballs veröffentlicht. Wer sind heute die Spielmacher? Wer zieht heute die Strippen im deutschen Fußball? Wenn damit gemeint ist, wer am meisten Macht besitzt im deutschen Fußball, dann: Die Vereinsbosse von Bayern München und Borussia Dortmund, DFB-Präsident Niersbach und die Chefs von „Bild“ und „SportBild“.

Das Lahm-Buch

Das Kistner-Buch
Das erste Interview mit Thomas Kistner


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen