Sonntag, 15. November 2015

"Wir erleben eine Götterdämmerung"

Thomas Kistner zu Doping im Fußball und Korruption in der FIFA und im DFB

Sein Buch "FIFA Mafia" gab vor drei Jahren einen tiefen Einblick in die Machenschaften des Weltfußballs. Zurecht stand es wochenlang auf Platz Eins der Bestseller-Listen. Mit "Schuss - Die geheime Doping-Geschichte des Fußballs" kümmert sich Kistner nun um ein verdrängstes Thema im Sport.

Ich sprach mit ihm über unerlaubte Leistungssteigerung, über den Missbrauch von Schmerzmitteln und den Aufruhr in FIFA und DFB. Angesichts der Themen verwundert es nicht, dass das Gespräch deutlich länger dauerte als ursprünglich veranschlagt.

Herr Kistner ihr neues Buch ist 400 Seiten und detailliert. Wie lange haben Sie für die Recherche gebraucht?

Das lässt nicht so beantworten. Doping war schon länger ein Thema und ich hatte einzelne Nachrichten und Geschichten beiseite gelegt. Nach dem Abschluss von “FIFA Mafia” habe ich diese Dinge dann dann peau á peau aufgearbeitet und vervollständigt.

Wie sieht Ihre Zielsetzung aus?

Wie in andern Sportarten auch sind wir im Fußball in einer Zwittersituation. Die Anforderungen und der Kommerz werden immer größer, aber auf der anderen Seite soll der Sport sauber sein. In meinem Buch habe ich die Gemengelage verdichtet, indem ich eine ganze Reihe von Einzelfällen betrachte und sie in den Zusammenhang stelle. Doch die letzte Schlussfolgerung muss der Leser selbst ziehen.

Thomas Kistner kennt sich bestens aus in den
dunklen Ecken des Fußballs. Fotos: Verlag
Anders als in anderen Sportarten fehlt im Fußball aber der große Dopingfall.

Schuld ist Fuentes. Nachdem er und sein Netzwerk aufgeflogen sind, wurde die Diskussion über Doping im Fußball abgebrochen. Es sieht so aus, als ob Doping im Fußball per Beschluss abgeschafft. Das liegt aber auch daran, dass der Fußball sich selbst kontrolliert. Dopingtest sind absurd, wenn in fast 100 Prozent der Fälle der Zeitpunkt bekannt ist. Dann wird das Dopingmittel eben geringer dosiert oder die Einnahme verschoben.

Es gibt es eben anders als in anderen Sportarten nur sehr wenige Funde. Die Fälle, die in Deutschland bekannt sind, das sind meist Spieler aus den unteren Klassen oder aus dem Nachwuchsbereich. Doch es hat auch schon Dopingfälle bei 14- und 15-Jährige gegeben. Erwischt werden die, die kein ausgeklügeltes System haben, die Doping mit Hilfe eines befreundeten Apothekers betreiben. Aber es hat auch schon Nationalmannschaften oder große Teams wie Juventus Turin erwischt. Bei einem Klub, der das königlich im Namen führt, haben auch nur die Verbindungen ins Königshaus dafür gesorgt, dass die Justiz dem Dopingverdacht nicht weiter nachgegangen ist.
 
Warum ist Doping dann kein öffentliches Thema?

Eigentlich ist es banal, darüber zu sprechen. Die körperlichen Anforderungen werden immer höher, die Rasanz im Spiel ist enorm gestiegen. Der Fußballer ist mehr denn je ein kompletter Athlet und auch die FIFA hat erklärt, dass Talent allein nicht mehr ausreicht. Wenn sie mal auf die körperliche Entwicklung von Neymar oder Christiano Ronaldo schauen, dann werden sie einen deutlichen Zuwachs an Muskelmasse feststellen. Diese Zuwachs hält die beiden nicht von Spitzenleistungen ab. Das pulverisiert doch die Behauptung, dass Kraft allein nicht hilft.
Ich halte es für einen unsäglichen Unfug, wenn von Seiten der Offiziellen immer noch behauptet wird, dass Fußball zu komplex sei, um effektiv zu dopen. Wer zu EPO greift, der mindert damit ja nicht seine technischen Fähigkeiten. Ganz im Gegenteil, EPO sorgt für das Mehr an Ausdauer und dann kommt der Pass auch noch nach der 70. Minute sauber an.

Auf der anderen Seite haben wir immer mehr physiologische Wunder, wenn Spieler sich innerhalb kürzester Zeit von Verletzungen erholen und wieder spielbereit sind. Mit den Schmerzmitteln stoßen wir in einen Graubereich vor, der nicht vom Doping getrennt werden kann.

Leistungsdoping oder Schmerzmitteldoping. Welche Form  hat die größeren Folgen?

Ich würde das nicht trennen. Betrug bleibt Betrug. Ob ich meine körperlichen Grenzen nun mit Anabolika oder mit Schmerzmitteln verschiebe, beides ist Doping und beides zwingt auch die Konkurrenten in den Betrug.

In ihrem Buch beschreiben Sie ausführlich, wie die damalige französische Sportministerin Maire-George Buffet an der Durchsetzung effektiver Kontrollen gehindert wurde. Könnte dies in Deutschland auch passieren?

Gerade in Deutschland. Wir sollten uns von der Idylle verabschieden, dass im deutschen Sport alles mit rechten Dingen passiert. Der Druck auf die Politik ist enorm. Immerhin kann Deutschland mit Horst Dassler den Erfinder der Sportkorruption aufbieten. Nirgends wurde Doping so infam und intelligent betrieben, wie in der ehemaligen DDR. Wie der Dopingbericht 2013 bestätigte, war auch in Westdeutschland Doping durchgetaktet. In dieser Angelegenheit waren wir Deutschen immer mittendrin statt nur dabei.

Es ist bis heute nicht abschließend geklärt, was bei der Weltmeister 1954 im Keller von Spiez gespritzt wurde. Die offizielle Seite mit Mannschaftarzt Franz Loogen spricht von Vitamin C und von Traubenzucker und von Placebo-Effekten. Aber wenn es wirklich um solch harmlose Sachen ging, warum hat man sich dann der Gefahr von Infektionen durch nicht richtig abgekochte Spritzen ausgesetzt? Klar ist, dass die mangelhafte Sterilisation zu Ansteckungen mit Hepatitis geführt hat.

Loogen gibt zu, dass das Thema Doping von Rahn nach seiner Rückkehr aus Südamerika in die Mannschaft getragen wurde. Dazu gibt es auch Schriftverkehr mit dem damaligen DFB-Präsidenten Bauwens. Da fast alle Beteiligten verstorben sind, wird man die Frage wohl nicht mehr endgültig klären können. Mein Fazit lautet: Es kann sein, es muss aber nicht.


Nach oben gedopt?


Bei der Lektüre ihre Buches bekommt man den Eindruck, dass der französische Fußball und der italienische Fußball sich nach oben gedopt haben. Oder täuscht der Eindruck?

Für den französischen Fußball der 90er Jahre kann man dies sicherlich sagen. In Italien gab es systematisches Doping im Fußball schon in den 60er Jahren. Nicht ohne Grund haben diese beiden Ländern heute die härtesten Anti-Dopinggesetze der Welt. Dass wir in Deutschland erst jetzt über ein solches Gesetz sprechen, dass hat etwas mit der Bedeutung dieses Sport für die Nation zu tun. Solch eine Überhöhung finden man nur noch in Spanien.

Worin liegt die Bedeutung des Fußballs?

Der Sport hat eine Menge für die Identitätsbildung getan. Das war ohne Frage 1954 so. Nach dem verlorenen Krieg war man wieder wer. Aber auch das Sommermärchen 2006 war wichtig für die Neuerfindung von Deutschland. Wie ist das Image der Deutschen in der Welt? Korrekt, zuverlässig und pünktlich. Mit den Deutschen kann man Geschäfte machen. Aber ist das sexy? Also brauchten wir Deutschen die Fußball-WM um uns weltoffen und tolerant und lebensfroh zu zeigen. Außerdem hat Fußball eine integrative Aufgabe. Die Nationalmannschaft ist natürlich eine Integrationsmannschaft.

Entwickelt das neue Buch von
Kistner dieselbe Sprengkraft wie
sein Vorgänger? Foto: Verlag 
Das Stichwort Sommermärchen ist gefallen. Warum gibt es jetzt dies Ungereimtheiten auf den Tisch? Hat Sepp Blatter dies Alles an die Presse durchgestochen?

Diese These hatte ich anfangs auch erwogen. Aber nach eingehender Prüfung muss ich sagen, dass dies Unfug ist. Sicherlich ist der Giftschrank von Blatter prall gefüllt und er könnte alle Funktionäre der letzten 30 Jahre versenken. Aber er würde nie sich selbst versenken. Auch bei der Millionenzahlung an Platini dachten viele an eine späte Rache an den UEFA-Chef. Doch nun ist Blatter selbst der Hauptbeschuldigte und Platini wird von den Ermittlungsbehörden nur als zu befragenden Person geführt.

Die Enthüllungen über das Sommermärchen sind nicht Blatters Stil. Er ist ein Meister der Intrige und hat es in der Vergangenheit mehrfach geschafft, Personen aus seiner nächsten Umgebung ins Messer laufen zu lassen ohne dabei selbst beschädigt zu werden. Dennoch wird Sepp Blatter irgendwann auspacken, da bin ich mir ganz sicher. Die Frage ist nur, wann?

Wofür waren die 6,7 Millionen bestimmt? Wurden damit Stimmen gekauft?

Das denke ich nicht. Ich denke, dass das Geld eher in die Wahlkampfkasse von Sepp Blatter geflossen ist. Dem waren damals die Hände gebunden, da es interne Ermittlungen gegen ihn gab und er keinen Zugriff auf die Ressource der FIFA hatte. Man muss sich das wie im Wahlkampf um die Präsidentschaft in den USA vorstellen. Dort zahlen viele Menschen eine große Kasse ein. Ich gehe in diesem Fall von 30 bis 40 Millionen Euro aus. Wer dann solch einen Betrag einbringt, der ist ein wichtiger Mann im Gesamtkonzert.

Sylvia Schenk von Transparency International sprach von einer Götterdämmerung im Fußball. Sehen Sie das ähnlich? 

Das, was wir derzeit beobachten, das ist nach bisherigen Maßstäben keine reale Entwicklung. Ja, wir erleben derzeit eine Götterdämmerung, aber wir sind erst am Anfang der Entwicklung. Hier wird eine ganze Genaertion von Funktionären beerdigt und sie wird zu Recht beerdigt. Wir erleben derzeit nicht nur eine Götterdämmerung, sondern zugleich auch eine Zeitenwende im internationalen Fußball.

Ich glaube nicht, dass irgendeiner der aktiven führenden Funktionäre unbeschädigt aus dieser Angelegenheit herauskommt.Immerhin laufen die Ermittlungen seit 2010. Es gab bisher nur zwei Möglichkeiten des Verhaltens. Entweder man hat die Schweinereien mitbekommen und war still. Dann hat man sich moralisch schuldig gemacht. Oder man hat mitgemacht und sich das Geld gleich büschelweise aus den vielen Geldtöpfen genommen. Da niemand in solch einen System der einzige Depp sein will, haben die meisten sich wohl bedient.

Was hat ihr Buch “FIFA Mafia” dazu beigetragen?

Das kann ich nicht abschätzen. Ich weiß aber, dass eine Reihe von Ermittlern das Buch als hilfreiche Lektüre betrachten, von daher war ist ein Steinchen im großen Mosaik. Es hat zumindest ein öffentliches Bewußtsein geschaffen und klare Strukturen bei der Aufklärung vorgezeichnet.

Was muss sich in den Fußballverbänden nun ändern?

Wir brauchen erst einmal einen anderen rechtlichen Status. Zudem muss die FIFA kernsaniert werden. Das betrifft vor allem das Wahlsystem. Das Prinzip “one coountry - one vote” ist undemokratisch und öffnet der Korruption. Wenn ein Fußballverband aus der Karibik mit 250.000 Mitgliedern das gleiche Gewicht hat wie der DFB mit 7 Millionen Mitgliedern, dann wird sich dieser kleine Verband sein Stimmrecht natürlich teuer bezahlen lassen. Da wundert es auch nicht, dass die FIFA 15 Mitglieder mehr als die UNO. Ich könnte mir ja auch mal eine kleine Insel kaufen, sie Kistner Island nennen und morgen die Mitgliedschaft in der FIFA beantragen.

Für das IOC gilt das gleiche und dort ist man auch noch stolz darauf. Doch solch eine Änderung müsste mit einer Zweidrittel-Mehrheit vom FIFA-Konvent beschlossen werden.

Sie haben die FIFA mit der Augsburger Puppenkiste verglichen. Wer wird der nächste Oberkasper?

Wir haben es mit einem Dschungel der Fragwürdigkeiten zu tun. Bezeichnend finde ich, dass David Nakhid ohne Begründung von der Liste gestrichen wurde. Jerome Champagne ist ein alter Blatter-Intimus, der bisher wenig für die Transparenz in der FIFA getan hat. Die 79 Stimmen, die Prinz Ali bin al-Hussein im Frühjahr bekommen, waren aus meiner Sicht reiner Protest gegen Blatter. Ich glaube nicht, dass dies bei der nächsten Wahl ausreichen wird. Ich bin mir sicher, dass Scheich Salman bin Ibrahim Al Chalifa nicht den Integritätscheck der FIFA überstehen wird. Er ist Mitglied der königlichen Familie und war aktiv an der Unterdrückung der Demokratiebewegung in seinem Land beteiligt.

Die Kandidatur von Gianni Infantino ist vor allem eine taktische Geschichte und eine Notgeburt. Er ist klar der Ersatzmann für Platini und er wird die Wahl zum Erdteilkampf machen. Tokyo Sexwhale wurde vom Etablissement in diese Wahl hineingeschoben. Wir dürfen nicht vergessen, dass er von Beckenbauer und Blatter vorgeschlagen wurde. Ansonsten ist er eine Person, die den Umgang mit Schmiermitteln beherrscht. die US-Justiz beleuchtet gerade seinen kometenhaften Aufstieg im südafrikanischen Bergbau in den 90er Jahren. Sexwhale ist der Chef der weltweiten Nummer drei im Handel mit Diamanten und anderen Edelsteinen und das ist bekanntermaßen eine Branche, die mir fragwürdigen Mitteln arbeitet.


Was erlaube Zwanziger?


Wie bewerten Sie das Verhalten von Theo Zwanziger in Sachen Sommermärchen-Gate?

Da ich zeitweise der von Zwanziger am meisten gehasste Sportjournalist war, stehe ich bestimmt nicht im Verdacht, Milde walten zu lassen. Ich möchte das Verhalten in Bereiche aufteilen. Es steht für mich außer Frage, dass Theo Zwanziger noch eine Rechnung offen hat mit Wolfgang Niersbach. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass Zwanziger nur Lügen präsentiert, aber das werden wohl die Gerichte klären.
Wir Journalisten brauchen einen anderen Blick. Wir müssen die Vorwürfe beachten und unabhängig von der Person überprüfen, ähnlich wie der Staatsanwalt die Aussagen eines Kronzeugen einbeziehen muss. von daher möchte ich mich einer Bewertung der Motivation von Theo Zwanziger enthalten.

Gefährden die Fragwürdigkeiten um die WM 2006 die deutsche Bewerbung für die EM 2024?

Ich denke, dass der Wind aus einer anderen Richtung kommen muss. Um die EM ´24 zu retten, muss der Druck von innen kommen. So lange sich die Spielregel der internationalen Sportpolitik nicht ändern, stecken wir in einer Zwickmühle. Entweder verhalten wir uns sauber und bekommen die Spiele oder wir bekommen die Spiele.

Angesicht all dieser Entwicklungen, wie können Sie da noch Fußball-Fan bleiben?

Ich habe keine Problem damit. Fußball ist eine faszinierender Sport, sonst wäre nicht da, wo er ist. Ich persönlich kann trennen zwischen der Welt der Profis und der Amateure. Ich spiele selbst noch im Alt-Herren-Bereich und ich trainiere auch noch einen Jugendmannschaft. Sie sehen, ich verbringe immer noch viel Zeit mit Fußball.

Herr Kistner, ich danke Ihnen für das Gespräch.


Thomas Kistner bei wikipedia
Das erste Interview mit dem Fragensteller

Das Buch