Sonntag, 15. November 2015

"Wir erleben eine Götterdämmerung"

Thomas Kistner zu Doping im Fußball und Korruption in der FIFA und im DFB

Sein Buch "FIFA Mafia" gab vor drei Jahren einen tiefen Einblick in die Machenschaften des Weltfußballs. Zurecht stand es wochenlang auf Platz Eins der Bestseller-Listen. Mit "Schuss - Die geheime Doping-Geschichte des Fußballs" kümmert sich Kistner nun um ein verdrängstes Thema im Sport.

Ich sprach mit ihm über unerlaubte Leistungssteigerung, über den Missbrauch von Schmerzmitteln und den Aufruhr in FIFA und DFB. Angesichts der Themen verwundert es nicht, dass das Gespräch deutlich länger dauerte als ursprünglich veranschlagt.

Herr Kistner ihr neues Buch ist 400 Seiten und detailliert. Wie lange haben Sie für die Recherche gebraucht?

Das lässt nicht so beantworten. Doping war schon länger ein Thema und ich hatte einzelne Nachrichten und Geschichten beiseite gelegt. Nach dem Abschluss von “FIFA Mafia” habe ich diese Dinge dann dann peau á peau aufgearbeitet und vervollständigt.

Wie sieht Ihre Zielsetzung aus?

Wie in andern Sportarten auch sind wir im Fußball in einer Zwittersituation. Die Anforderungen und der Kommerz werden immer größer, aber auf der anderen Seite soll der Sport sauber sein. In meinem Buch habe ich die Gemengelage verdichtet, indem ich eine ganze Reihe von Einzelfällen betrachte und sie in den Zusammenhang stelle. Doch die letzte Schlussfolgerung muss der Leser selbst ziehen.

Thomas Kistner kennt sich bestens aus in den
dunklen Ecken des Fußballs. Fotos: Verlag
Anders als in anderen Sportarten fehlt im Fußball aber der große Dopingfall.

Schuld ist Fuentes. Nachdem er und sein Netzwerk aufgeflogen sind, wurde die Diskussion über Doping im Fußball abgebrochen. Es sieht so aus, als ob Doping im Fußball per Beschluss abgeschafft. Das liegt aber auch daran, dass der Fußball sich selbst kontrolliert. Dopingtest sind absurd, wenn in fast 100 Prozent der Fälle der Zeitpunkt bekannt ist. Dann wird das Dopingmittel eben geringer dosiert oder die Einnahme verschoben.

Es gibt es eben anders als in anderen Sportarten nur sehr wenige Funde. Die Fälle, die in Deutschland bekannt sind, das sind meist Spieler aus den unteren Klassen oder aus dem Nachwuchsbereich. Doch es hat auch schon Dopingfälle bei 14- und 15-Jährige gegeben. Erwischt werden die, die kein ausgeklügeltes System haben, die Doping mit Hilfe eines befreundeten Apothekers betreiben. Aber es hat auch schon Nationalmannschaften oder große Teams wie Juventus Turin erwischt. Bei einem Klub, der das königlich im Namen führt, haben auch nur die Verbindungen ins Königshaus dafür gesorgt, dass die Justiz dem Dopingverdacht nicht weiter nachgegangen ist.
 
Warum ist Doping dann kein öffentliches Thema?

Eigentlich ist es banal, darüber zu sprechen. Die körperlichen Anforderungen werden immer höher, die Rasanz im Spiel ist enorm gestiegen. Der Fußballer ist mehr denn je ein kompletter Athlet und auch die FIFA hat erklärt, dass Talent allein nicht mehr ausreicht. Wenn sie mal auf die körperliche Entwicklung von Neymar oder Christiano Ronaldo schauen, dann werden sie einen deutlichen Zuwachs an Muskelmasse feststellen. Diese Zuwachs hält die beiden nicht von Spitzenleistungen ab. Das pulverisiert doch die Behauptung, dass Kraft allein nicht hilft.
Ich halte es für einen unsäglichen Unfug, wenn von Seiten der Offiziellen immer noch behauptet wird, dass Fußball zu komplex sei, um effektiv zu dopen. Wer zu EPO greift, der mindert damit ja nicht seine technischen Fähigkeiten. Ganz im Gegenteil, EPO sorgt für das Mehr an Ausdauer und dann kommt der Pass auch noch nach der 70. Minute sauber an.

Auf der anderen Seite haben wir immer mehr physiologische Wunder, wenn Spieler sich innerhalb kürzester Zeit von Verletzungen erholen und wieder spielbereit sind. Mit den Schmerzmitteln stoßen wir in einen Graubereich vor, der nicht vom Doping getrennt werden kann.

Leistungsdoping oder Schmerzmitteldoping. Welche Form  hat die größeren Folgen?

Ich würde das nicht trennen. Betrug bleibt Betrug. Ob ich meine körperlichen Grenzen nun mit Anabolika oder mit Schmerzmitteln verschiebe, beides ist Doping und beides zwingt auch die Konkurrenten in den Betrug.

In ihrem Buch beschreiben Sie ausführlich, wie die damalige französische Sportministerin Maire-George Buffet an der Durchsetzung effektiver Kontrollen gehindert wurde. Könnte dies in Deutschland auch passieren?

Gerade in Deutschland. Wir sollten uns von der Idylle verabschieden, dass im deutschen Sport alles mit rechten Dingen passiert. Der Druck auf die Politik ist enorm. Immerhin kann Deutschland mit Horst Dassler den Erfinder der Sportkorruption aufbieten. Nirgends wurde Doping so infam und intelligent betrieben, wie in der ehemaligen DDR. Wie der Dopingbericht 2013 bestätigte, war auch in Westdeutschland Doping durchgetaktet. In dieser Angelegenheit waren wir Deutschen immer mittendrin statt nur dabei.

Es ist bis heute nicht abschließend geklärt, was bei der Weltmeister 1954 im Keller von Spiez gespritzt wurde. Die offizielle Seite mit Mannschaftarzt Franz Loogen spricht von Vitamin C und von Traubenzucker und von Placebo-Effekten. Aber wenn es wirklich um solch harmlose Sachen ging, warum hat man sich dann der Gefahr von Infektionen durch nicht richtig abgekochte Spritzen ausgesetzt? Klar ist, dass die mangelhafte Sterilisation zu Ansteckungen mit Hepatitis geführt hat.

Loogen gibt zu, dass das Thema Doping von Rahn nach seiner Rückkehr aus Südamerika in die Mannschaft getragen wurde. Dazu gibt es auch Schriftverkehr mit dem damaligen DFB-Präsidenten Bauwens. Da fast alle Beteiligten verstorben sind, wird man die Frage wohl nicht mehr endgültig klären können. Mein Fazit lautet: Es kann sein, es muss aber nicht.


Nach oben gedopt?


Bei der Lektüre ihre Buches bekommt man den Eindruck, dass der französische Fußball und der italienische Fußball sich nach oben gedopt haben. Oder täuscht der Eindruck?

Für den französischen Fußball der 90er Jahre kann man dies sicherlich sagen. In Italien gab es systematisches Doping im Fußball schon in den 60er Jahren. Nicht ohne Grund haben diese beiden Ländern heute die härtesten Anti-Dopinggesetze der Welt. Dass wir in Deutschland erst jetzt über ein solches Gesetz sprechen, dass hat etwas mit der Bedeutung dieses Sport für die Nation zu tun. Solch eine Überhöhung finden man nur noch in Spanien.

Worin liegt die Bedeutung des Fußballs?

Der Sport hat eine Menge für die Identitätsbildung getan. Das war ohne Frage 1954 so. Nach dem verlorenen Krieg war man wieder wer. Aber auch das Sommermärchen 2006 war wichtig für die Neuerfindung von Deutschland. Wie ist das Image der Deutschen in der Welt? Korrekt, zuverlässig und pünktlich. Mit den Deutschen kann man Geschäfte machen. Aber ist das sexy? Also brauchten wir Deutschen die Fußball-WM um uns weltoffen und tolerant und lebensfroh zu zeigen. Außerdem hat Fußball eine integrative Aufgabe. Die Nationalmannschaft ist natürlich eine Integrationsmannschaft.

Entwickelt das neue Buch von
Kistner dieselbe Sprengkraft wie
sein Vorgänger? Foto: Verlag 
Das Stichwort Sommermärchen ist gefallen. Warum gibt es jetzt dies Ungereimtheiten auf den Tisch? Hat Sepp Blatter dies Alles an die Presse durchgestochen?

Diese These hatte ich anfangs auch erwogen. Aber nach eingehender Prüfung muss ich sagen, dass dies Unfug ist. Sicherlich ist der Giftschrank von Blatter prall gefüllt und er könnte alle Funktionäre der letzten 30 Jahre versenken. Aber er würde nie sich selbst versenken. Auch bei der Millionenzahlung an Platini dachten viele an eine späte Rache an den UEFA-Chef. Doch nun ist Blatter selbst der Hauptbeschuldigte und Platini wird von den Ermittlungsbehörden nur als zu befragenden Person geführt.

Die Enthüllungen über das Sommermärchen sind nicht Blatters Stil. Er ist ein Meister der Intrige und hat es in der Vergangenheit mehrfach geschafft, Personen aus seiner nächsten Umgebung ins Messer laufen zu lassen ohne dabei selbst beschädigt zu werden. Dennoch wird Sepp Blatter irgendwann auspacken, da bin ich mir ganz sicher. Die Frage ist nur, wann?

Wofür waren die 6,7 Millionen bestimmt? Wurden damit Stimmen gekauft?

Das denke ich nicht. Ich denke, dass das Geld eher in die Wahlkampfkasse von Sepp Blatter geflossen ist. Dem waren damals die Hände gebunden, da es interne Ermittlungen gegen ihn gab und er keinen Zugriff auf die Ressource der FIFA hatte. Man muss sich das wie im Wahlkampf um die Präsidentschaft in den USA vorstellen. Dort zahlen viele Menschen eine große Kasse ein. Ich gehe in diesem Fall von 30 bis 40 Millionen Euro aus. Wer dann solch einen Betrag einbringt, der ist ein wichtiger Mann im Gesamtkonzert.

Sylvia Schenk von Transparency International sprach von einer Götterdämmerung im Fußball. Sehen Sie das ähnlich? 

Das, was wir derzeit beobachten, das ist nach bisherigen Maßstäben keine reale Entwicklung. Ja, wir erleben derzeit eine Götterdämmerung, aber wir sind erst am Anfang der Entwicklung. Hier wird eine ganze Genaertion von Funktionären beerdigt und sie wird zu Recht beerdigt. Wir erleben derzeit nicht nur eine Götterdämmerung, sondern zugleich auch eine Zeitenwende im internationalen Fußball.

Ich glaube nicht, dass irgendeiner der aktiven führenden Funktionäre unbeschädigt aus dieser Angelegenheit herauskommt.Immerhin laufen die Ermittlungen seit 2010. Es gab bisher nur zwei Möglichkeiten des Verhaltens. Entweder man hat die Schweinereien mitbekommen und war still. Dann hat man sich moralisch schuldig gemacht. Oder man hat mitgemacht und sich das Geld gleich büschelweise aus den vielen Geldtöpfen genommen. Da niemand in solch einen System der einzige Depp sein will, haben die meisten sich wohl bedient.

Was hat ihr Buch “FIFA Mafia” dazu beigetragen?

Das kann ich nicht abschätzen. Ich weiß aber, dass eine Reihe von Ermittlern das Buch als hilfreiche Lektüre betrachten, von daher war ist ein Steinchen im großen Mosaik. Es hat zumindest ein öffentliches Bewußtsein geschaffen und klare Strukturen bei der Aufklärung vorgezeichnet.

Was muss sich in den Fußballverbänden nun ändern?

Wir brauchen erst einmal einen anderen rechtlichen Status. Zudem muss die FIFA kernsaniert werden. Das betrifft vor allem das Wahlsystem. Das Prinzip “one coountry - one vote” ist undemokratisch und öffnet der Korruption. Wenn ein Fußballverband aus der Karibik mit 250.000 Mitgliedern das gleiche Gewicht hat wie der DFB mit 7 Millionen Mitgliedern, dann wird sich dieser kleine Verband sein Stimmrecht natürlich teuer bezahlen lassen. Da wundert es auch nicht, dass die FIFA 15 Mitglieder mehr als die UNO. Ich könnte mir ja auch mal eine kleine Insel kaufen, sie Kistner Island nennen und morgen die Mitgliedschaft in der FIFA beantragen.

Für das IOC gilt das gleiche und dort ist man auch noch stolz darauf. Doch solch eine Änderung müsste mit einer Zweidrittel-Mehrheit vom FIFA-Konvent beschlossen werden.

Sie haben die FIFA mit der Augsburger Puppenkiste verglichen. Wer wird der nächste Oberkasper?

Wir haben es mit einem Dschungel der Fragwürdigkeiten zu tun. Bezeichnend finde ich, dass David Nakhid ohne Begründung von der Liste gestrichen wurde. Jerome Champagne ist ein alter Blatter-Intimus, der bisher wenig für die Transparenz in der FIFA getan hat. Die 79 Stimmen, die Prinz Ali bin al-Hussein im Frühjahr bekommen, waren aus meiner Sicht reiner Protest gegen Blatter. Ich glaube nicht, dass dies bei der nächsten Wahl ausreichen wird. Ich bin mir sicher, dass Scheich Salman bin Ibrahim Al Chalifa nicht den Integritätscheck der FIFA überstehen wird. Er ist Mitglied der königlichen Familie und war aktiv an der Unterdrückung der Demokratiebewegung in seinem Land beteiligt.

Die Kandidatur von Gianni Infantino ist vor allem eine taktische Geschichte und eine Notgeburt. Er ist klar der Ersatzmann für Platini und er wird die Wahl zum Erdteilkampf machen. Tokyo Sexwhale wurde vom Etablissement in diese Wahl hineingeschoben. Wir dürfen nicht vergessen, dass er von Beckenbauer und Blatter vorgeschlagen wurde. Ansonsten ist er eine Person, die den Umgang mit Schmiermitteln beherrscht. die US-Justiz beleuchtet gerade seinen kometenhaften Aufstieg im südafrikanischen Bergbau in den 90er Jahren. Sexwhale ist der Chef der weltweiten Nummer drei im Handel mit Diamanten und anderen Edelsteinen und das ist bekanntermaßen eine Branche, die mir fragwürdigen Mitteln arbeitet.


Was erlaube Zwanziger?


Wie bewerten Sie das Verhalten von Theo Zwanziger in Sachen Sommermärchen-Gate?

Da ich zeitweise der von Zwanziger am meisten gehasste Sportjournalist war, stehe ich bestimmt nicht im Verdacht, Milde walten zu lassen. Ich möchte das Verhalten in Bereiche aufteilen. Es steht für mich außer Frage, dass Theo Zwanziger noch eine Rechnung offen hat mit Wolfgang Niersbach. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass Zwanziger nur Lügen präsentiert, aber das werden wohl die Gerichte klären.
Wir Journalisten brauchen einen anderen Blick. Wir müssen die Vorwürfe beachten und unabhängig von der Person überprüfen, ähnlich wie der Staatsanwalt die Aussagen eines Kronzeugen einbeziehen muss. von daher möchte ich mich einer Bewertung der Motivation von Theo Zwanziger enthalten.

Gefährden die Fragwürdigkeiten um die WM 2006 die deutsche Bewerbung für die EM 2024?

Ich denke, dass der Wind aus einer anderen Richtung kommen muss. Um die EM ´24 zu retten, muss der Druck von innen kommen. So lange sich die Spielregel der internationalen Sportpolitik nicht ändern, stecken wir in einer Zwickmühle. Entweder verhalten wir uns sauber und bekommen die Spiele oder wir bekommen die Spiele.

Angesicht all dieser Entwicklungen, wie können Sie da noch Fußball-Fan bleiben?

Ich habe keine Problem damit. Fußball ist eine faszinierender Sport, sonst wäre nicht da, wo er ist. Ich persönlich kann trennen zwischen der Welt der Profis und der Amateure. Ich spiele selbst noch im Alt-Herren-Bereich und ich trainiere auch noch einen Jugendmannschaft. Sie sehen, ich verbringe immer noch viel Zeit mit Fußball.

Herr Kistner, ich danke Ihnen für das Gespräch.


Thomas Kistner bei wikipedia
Das erste Interview mit dem Fragensteller

Das Buch 



Sonntag, 4. Oktober 2015

Nicht der Logik beugen

Ein Gespräch über den Propheten und Menschen Mohammed

Bei solch einem Angebot kann man nicht Nein sagen, aus unterschiedlichen Gründen.  Als ich also die Chance bekam, mit Hamed Abdal-Samad zu sprechen, ergriff ich die Gelegenheit gleich beim Schopfe, sagte Ja und kramte alles hervor, was ich aus dem Studium noch über die Entstehung des Islams wusste.

Bei unserem Telefonat zeigte sich Hamed Abdel-Samad ganz als zurückhaltender und leiser Gesprächspartner, der sich auch die Mühe machte, mir Laien Zusammenhänge  zu vermitteln. Dabei hatte es mir sein Schlusswort besonders angetan.

Herr Abdal-Samad, warum dieses Buch jetzt?

Von jetzt kann nicht die Rede sein. Ich habe lange Jahre an diesem Werk gearbeitet. Die Idee kam mir bereits 2005. Damals arbeitete ich an der Universität Erfurt und habe mir zum ersten Mal unter wissenschaftlichen Apsketen die Frage gestellt „Woher kommt der Islam?“. Der Auslöser war meine Beschäftigung mit der Ostkirche, mit der jüdischen und mit der persischen Tradition, die sich im frühen Islam wiederfinden. Die Recherchen waren vielfältig und langwierig, weil ich mich nur auf die Primärliteratur verlassen wollte. Deswegen habe ich so lange für dieses Buch gebraucht.

Ich wollte ein menschliches Buch schreiben schreiben, ein Buch das Mohammed al Menschen zeigt. Denn der Prophet hat viele Dinge getan, die ich als verwerflich bezeichnen möchte. Für mich ist ein zentrales Problem, dass sich viele Muslime nicht von der Unantastbarkeit des Propheten lösen können.
2010 habe ich im Rahmen der Recherchen Kurt Westergaard getroffen, den Zeichner, der den Streit um die Mohammed-Karikaturen ausgelöst hatte. Dadurch habe ich viel gelernt über die menschliche Sicht auf auf Übermenschen.


Ihr Buch trägt den Untertitel „Ein Abrechnung“. Warum?

Hamed Abdel-Samad möchte einen
toleranten Islam.  Fotos: Verlag 
Es geht mir schon um die Frage, warum viele Muslime sich nicht von der Unantastbarkeit des Propheten lösen können. Es geht mir aber auch darum, mit den Mitteln der Vernunft und der Überzeugung die Sonderstellung des Menschen Mohammed zu belegen.

Ein wichtiges Erlebnis während meiner Recherchen war 2010 die Begegnung mit Kurt Westergaard, dem dänischen Karikaturisten, der den Streit um die Mohammed-Zeichnungen auslöste. In den Gesprächen mit Westergaard habe eine andere Perspektive auf das menschliche Tun erfahren. Die Fage, ob es schlimmer ist, Menschen zu töten oder einen bestimmten Menschen zu zeichnen, die stellt sich mir eigentlich nicht mehr.


Sie sagen, ihr Buch hat den Menschen Mohammed als Thema. Was für ein Mensch war der Prophet denn?

Im Grunde genommen geht es um 3 Mohammeds oder viel mehr die um drei Aspekte einer Person. Da ist die historische Figur des Händlers und Kriegsherren. Er lebte in einer realen Welt und ist sicher keine Erfindung. Es wäre unmöglich gewesen, so viele gleich lautende Erzählungen an so unterschiedlichen Orten zu implementieren. Dieser Mohammed ist ein Teil des Kollektivgedächtnis. Das muss man anerkennen, auch wenn er später durch die Umayyaden und die Abbassiden instrumentalisiert wurde.

Dann geht es um den Propheten Mohammed, den Stifter einer Religion, den letzten Boten Gottes.

Aber es geht vor allem um den verschwiegenen Mohammed, den Ausgestoßenen und psychisch Kranken, der für so viele Widersprüche im Islam verantwortlich ist. Diese drei Figuren führe ich in meinem Buch zusammen und mein Anspruch, ist es, ein Psychogramm des Menschen Mohammed zu liefern.


Wie trennen Sie Mythos und Mensch voneinander?

Ich stütze mich auf die Primärliteratur, auf Berichte aus dem 6. und 7. Jahrhundert. So kann ich den historischen Kern herausarbeiten und das Verhältnisse von Legende und Realität deutlich machen. Dabei geht es mir auch um den Wahrheitsgehalt der arabischen Mastererzählung.


Worin besteht diese arabische Mastererzählung?

Mohammed einte die Araber, er war der Begründer einer Hochkultur und der Grundpfeiler einer toleranten Gesellschaft und blühenden Wissenschaft.

Die arabische Hochkultur gab es aber schon vor Mohammed, ebenso die Wissenschaft als Erbe der Antike. Die Profite kamen hingegen viel später, ebenso die islamische Kultur, als die arabischen Eroberer die vielfältigen Traditionen der eroberten Länder aufgriffen.


Wollen Sie einen Islam ohne Mohammed?

Seit 1. Oktober im Handel.
Nein, das geht gar nicht. Aber ich möchte zeigen, das Mohammed nicht als Vorbild taugt, nicht als Vorbild für einen Islam des 21. Jahrhunderts. Es geht darum, die historische Person zu relativieren und sie nach den Maßstäben ihrer Zeit zu bewerten. Dies muss man tun können, ohne um sein Leben zu fürchten.

Vielmehr möchte ich den Islam den Menschen näher bringen und wegkommen von der schwierigen Sprache der Theologen. Jeder normale Mensch soll sich seine normale Meinung über den Islam bilden können. Es geht mir um eine grundlegende Reform des islamischen Hauses, da reicht es nicht, die Fassade in einer neuen Farbe anzustreichen.


Warum ist Mohammed nicht als Vorbild geeignet?

Ich denke, dass wir in dieser globalisierten Welt eine offenen Islam brauchen, einen toleranten Islam. Aber dies geht nicht mit einer Überhöhung des Propheten. Schauen Sie sich die Bespiele in meinem Buch an. Es gab keine Toleranz in Medina und es gab keine Toleranz in Mekka. Ganz im Gegenteil, Mohammed hat die Saat der Intoleranz gesät. Dies wirkt noch heute nach. Schauen Sie nach Saudi-Arabien und schauen Sie auf den IS. Der spielt historische Vorbilder 1:1 nach. So hat auch Mohammed versucht, die kulturelle Zeugnisse der vorislamischen Gesellschaften auszulöschen. Hier müssen wir das Kind beim Namen nennen


Damit gehen Sie aber wieder ein hohes persönliches Risiko ein.


Dessen bin ich mir bewusst. Aber ich will mich nicht der Logik des Terrors beugen und schweigen. Eigentlich bräuchten wir ganz viele Zeichner, die ihr Bild des Propheten malen. Dann wäre nicht nur das Risiko verteilt und dann bräuchte ich auch nicht mehr solche Bücher schreiben.


Darum geht es: Das Buch
Der Hamed Abdel-Samad bei wikipedia

Das sagt der Harzer Kritiker  dazu.

Sonntag, 20. September 2015

"Meine Fans motivieren mich"

Rüdiger Hoffmann zu seinem 30-jährigen Bühnenjubiläum

Manchmal braucht man zwei Anläufe, damit es gut wird. Auf jeden Fall war das zweite Interview mit Rüdiger Hoffmann von einer sachlichen Ebene geprägt. Dieser konnte im August auf 30 Jahre Bühnenerfahrung zurückblicken und hat das Jubiläum mit einer neuen CD und einer Best-Edition begleitet.

Lieber Herr Hoffmann, was motiviert Sie auch noch nach dreißig Jahren auf die Bühne zu steigen?

Einiges! In erster Linie aber meine Fans. Solange die Leute und ich noch Spaß daran haben, werde ich auch weiterhin auf Tour gehen. Ein Ende möchte ich mir auf jeden Fall nicht setzen. 

Welches war das prägende Erlebnis in dieser Zeit? Oder gab es mehrere? Auf welches Erlebnis warten Sie noch? Was könnte Sie auf der Bühne noch überraschen?

Da gibt es so einiges in den 30 Jahren, die ich nun schon auf der Bühne stehe. Dieses Jahr feiere ich mein 30 jähriges Bühnenjubiläum, das freut mich sehr. "Der Hauptgewinner" wurde die meist verkaufte Sprach-CD der Welt, viele ausverkaufte Tourneen in den größten Hallen oder der Auftritt vor 80.000 Zuschauer im Vorprogramm der Rolling Stones und als ich nach dem Auftritt noch eine Viertelstunde in die Bandgarderobe durfte – ein wahr gewordener Traum. Es gibt wirklich einige Erlebnisse, ich könnte noch viel mehr aufzählen.


Rüdiger Hoffmann ist viel herum  
gekommen und hat viel geseehen,
auch die Garderobe der Stones.
Foto: Det Kempe
Welchen Stellenwert hat die Bühne für Sie? Welchen Stellenwert hat Fernsehpräsenz für Sie? Welche Rolle spielen die vielfältigen Plattformen im Internet für Sie?

Ich war viel auf Tournee. Im Fernsehen war ich aber tatsächlich weniger zu sehen. Es gibt heute einfach nicht mehr so viele Sendungen, in denen Stand-up-Comedy gezeigt wird. Das finde ich sehr schade. Wahrscheinlich hätte ich auch den Weg über das Internet gewählt, wenn es das damals schon gegeben hätte. Selbstverständlich poste ich auch regelmäßig bei Facebook. Ich denke, insbesondere die jüngere Generation möchte gerne 24 Stunden hinter die Kulissen der Prominenten schauen und da wir in der Lage sind selber zu bestimmen was wir den Fans zeigen möchten, finde ich es eine gute Sache. Am meisten fasziniert mich aber das Feedback der Leute auf Postings und Auftritte. Hier bekomme ich auch immer wieder neue Anregungen zum Programm. 

In der nächsten Woche geht Ihre Tour weiter. Was unterscheidet das 10. Bühnenprogramm von den 9 Vorgängern?

Ich habe mich immer bemüht, nicht das selbe nochmal in grün zu machen. Wenn ich zwei Nummern über Ausländerfeindlichkeit geschrieben habe, dann verzichte ich auch mal in einem anderen Programm darauf - obwohl ich das Thema vielleicht gut oder wichtig finde. Ich versuche nichts zu kopieren, sondern auch andere Geschichten zu erzählen. Ich habe in den letzten Programmen viel ausprobiert. Ich bin oft in verschiedene Rollen geschlüpft. Es war also eher weniger der typische Rüdiger Hoffmann darin. Beim aktuellen Programm „Aprikosenmarmelade“ geht es viel mehr "Back to the Roots", wie man mich vom Anfang kennt. Als der Geschichtenerzähler, der im weißen Hemd auf die Bühne geht und seine Geschichten aus dem Alltag erzählt.

Legendär ist ihre Einleitung “Ja hallo erstmal”. Fühlen Sie sich immer noch als “Godfather of Entspannung”? Welchen Tipp für ein besseres Leben haben Sie in dieser Woche?

Ich möchte das Publikum in erster Linie entschleunigen. Unsere Umwelt ist viel zu hektisch, laut und schnell geworden! Ich bin froh, dass es heute vielmehr darauf ankommt, dass wir mal aus dem Alltag fliehen können. Das möchte ich auch den Zuschauern mit auf den Weg geben und versuchen sie zwei Stunden in meine Welt zu entführen. Ich habe das Gefühl, dass die Leute es gerade in dieser hektischen Zeit genießen da zu sitzen, zuzuhören und sich dabei zu entspannen.
Warum muss es unbedingt Aprikosenmarmelade sein? Könnte nicht auch Erdbeerkonfitüre zu einem ausgeglichenen Leben führen?

Der Titel klingt ja etwas kurios für ein Comedy-Programm: Er kam mir während des Schreibens, weil ich zu der Zeit beim Frühstück tatsächlich sehr viel Aprikosenmarmelade aufs Brot gestrichen habe. Dabei stehe ich morgens gar nicht so sehr auf Süßes - aber angeblich ist das anregend fürs Gehirn. Ich sehe »Aprikosenmarmelade« als Synonym für den Mikrokosmos Frühstücksküchentisch: Da tun sich ja schon die ersten Abgründe des Tages auf - und die werden alle im Programm thematisiert.

Vor zwanzig Jahren sind Sie mit der Hauptgewinner an die Spitze der Charts vorgestoßen. Haben Sie zum Bühnenjubiläum ein ähnliches Projekt in Vorbereitung? Oder hat die Möglichkeit der permamente Veröffentlichung im Internet ihre Arbeitsweise verändert?

Aktuell ist die Doppel-CD zum meinem aktuellen Live-Programm „Aprikosenmarmelade“ sowie eine Jubiläumungsbox  („Rüdiger Hoffmann – Die 30 Jahre Jubiläumsbox“) mit all meinen Programmen erschienen, darauf bin ich sehr stolz. Nächstes Jahr wird es zudem ein neues Live-Programm geben mit dem Titel “Ich hab’s doch nur gut gemeint“.
Zwar gibt es mehr Comedy denn je in den deutschen Medien, aber sie ist in die Spartenprogramm verschwunden. Woran liegt das?

Es gibt heutzutage viel mehr Comedians. Über viele kann ich – ehrlich gesagt – nicht lachen. Vieles ist platt, nicht ausgereift und laut. Viele haben kein echtes Programm, mit dem sie auf einer Bühne bestehen könnten, sondern nur eine gute Nummer. Solche Leute sind ganz schnell wieder weg – auch, weil sie sich nicht entwickeln konnten. Es gibt aber auch Künstler, die ein tolles Programm haben und die ich sehr schätze.

Ich danke Ihnen.


Rüdiger Hoffmann bei wikipedia


Sonntag, 6. September 2015

"Ich war wie befreit"

Purple Schulz im Interview mit Sandra Witzel

Dieses Gespräch hätte ich auch gern geführt. Schließlich gehörte Purple Schulz zu den Idolen meiner Jugend: locker-leichte Pop-Musik mit intelligenten Texten, immer politisch, aber leider immer unterbewertet von Feuilleton.

Doch das große Glück hatte die Kollegin Sandra Witzel vom Offenen Kanal Nordhausen, es sei ihr gegönnt. Ich habe das Glück, es übernehmen zu dürfen. Hier nun das Gespräch in Auszügen.

Was macht Purple Schulz aus ?

In meinen Konzerten wird gelacht UND geweint. Ich singe über Dinge, über die andere oft nicht mal sprechen. Es sind aber nicht nur die sehr emotionalen Geschichten, die ich erzähle, sondern auch die Bandbreite bei deren musikalischer Umsetzung. Schon bei "Sehnsucht" und "Verliebte Jungs" war offenkundig, wie weit diese zwei Titel auseinander liegen. Was mir an den Konzerten aber am wichtigsten ist: dass niemand so nach Hause geht, wie er ge-kommen ist.

Warum hat es bis zum Erscheinen des aktuellen Albums "So und nicht anders!" so lange gedauert? 

Das ist dem Umstand geschuldet, dass ich mit meinem langjährigen Partner Josef Piek 33 Jahre zusammen gearbeitet habe und wir zwei auf der Bühne auch schon als altes Ehepaar bezeichnet wurden. Und wie es eben bei einem alten Ehepaar so ist, kann man sich auch auseinander leben. Wir waren in der ganzen Zeit zwar wahnsinnig viel unterwegs und haben uns in viele Projekte gestürzt. Allein mit Heinz Rudolf Kunze waren wir in einem Quartett vier Jahre unterwegs, und das war wirklich sehr lustig. Aber Josef und ich haben uns oft nicht einigen können, was die Texte anging. Nach 33 Jahren haben wir uns schließlich getrennt, damit hat sich bei mir ein Knoten gelöst und auf einmal kamen ganz viele Stücke aus mir heraus, zu denen ich dann mit meiner Frau Eri die Texte geschrieben habe.
Er war nie richtig weg: Purple Schulz kommt nach

Hordhausen. Foto: Veranstalter

Ist das neue Album gleichzusetzen mit einem Neuanfang? Ich habe ja nie aufgehört, Musik zu machen. Aber dieses Album ist das erste, bei dem ich keine Kompromisse eingegangen bin. Wenn man in einem Duo zusammen spielt, muss man sich immer auf irgendetwas einigen. Aber "So und nicht anders!" wollte ich schon mein ganzes Leben lang machen. Insofern ist es auch so etwas wie ein Debütalbum und hat damit etwas zu tun, sich selbst zu finden. Jetzt ist es passiert, das Album ist draußen, ich bin auf Tour und nur noch unterwegs. Dieses Jahr sollte noch das nächste Album erscheinen, aber stattdessen erscheint im November erst einmal ein Buch, in dem ich mich mit dem Thema Sehnsucht auseinander setzen wollte, denn es ist ja der Song, dem ich meine meisten Erfolge zu verdanken habe. Seitdem sind 30 Jahre ins Land gegangen und ich habe mich gefragt, was mit unseren Sehnsüchten passiert ist und wie sie sich in den letzten 30 Jahren verändert haben.Da gab es ja auch so einige Revolutionen.

Gibt es heute andere Sehnsüchte als vor 30 Jahren?

Ich denke schon, dass man mit dem Schrei: "Ich will raus!" vor 30 Jahren so einen großen Erfolg haben konnte, weil viele Menschen tatsächlich einfach nur raus wollten. Es gab da große Bewegungen - die Antiatomkraftbewegung oder die Friedensbewegung. Mittlerweile wollen die Leute aber wieder rein, weil sie dazugehören wollen, aber ausgeschlossen sind, weil sie keinen Job und kein Geld haben, um am kulturellen und gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu können.

Ist Purple Schulz politisch?

Das war er schon immer. Man muss sich ja auch Sorgen machen um den Zustand dieser Welt- das ist ja mittlerweile ein Irrenhaus! Und es ist völlig klar, dass viele Menschen versuchen, hierher zu kommen, wo sie ein Leben in Frieden und Freiheit führen können. Wie wir jetzt damit umgehen, das ist ein Riesenproblem, das seit Jahren absehbar war. Wir haben uns nicht richtig darauf vorbereitet, obwohl viele Stimmen gewarnt haben. Stacheldraht und Mauern an den Grenzen Europas sind keine Lösungen. Wir müssen mit großer Empathie und visionärer Kraft reagieren. Wir können diese Menschen ja hier gebrauchen, wenn wir ihnen Arbeit geben und sie ausbilden und damit einiges, was diesem Land in der Zukunft droht, verhindern. Uns fehlen Pflegekräfte - wir können was draus machen und nicht immer zu fragen, was das alles kostet. Es kostet am Anfang immer was, das ist klar! Also - kümmern wir uns um die Leute, nehmen wir sie auf und geben wir ihnen eine Perspektive.

Kommen wir wieder zurück zur Musik und zum Album. Besonders berührt hat mich das Lied "Fragezeichen". Hast Du Erfahrungen mit der Erkrankung Demenz gemacht?

Ja, als ich 8 Jahre alt war, konnten meine Eltern meine Großeltern nicht mehr rund um die Uhr pflegen und gaben sie damals in ein sogenanntes Altersheim. Als ich sie dort das erste Mal besuchte, kam mir ein bestialischer Gestank entgegen, was meine erste Begegnung mit dem Alter war. Ich dachte als Kind, wir werden alle mal so, wenn wir alt sind. Jahrzehnte später erkrankte mein Vater an Parkinson mit einhergehender Demenz. Ich konnte den Verlauf der Krankheit sehr gut beobachten und habe dies dann in einem Video umgesetzt. Es macht mich sehr froh, dass dieses Video mittlerweile jungen Pflegeschülerinnen gezeigt wird, um ihnen zu vermitteln, was Demenz eigentlich ist.
Am 19. September kommst Du nach Nordhausen. Was verbindet Dich mit Ostdeutschland?

Ganz ganz viel. Ich war 1988/89 in der DDR unterwegs und gerade im August 1989 merkte man, dass es brodelte und kochte, dass etwas passieren wird und ich bin sehr dankbar dafür, dass ich das vor Ort erleben sein durfte. Ich habe erst bei meiner Ankunft in der DDR erfahren, welche Bedeutung "Ich will raus" aus dem Titel "Sehnsucht" in der DDR hatte. Zwischen 1990 und 2000 spielte ich 80 % meiner Konzerte in Ostdeutschland.

Worauf kann sich das Publikum zu Deinem Auftritt hier in Nordhausen freuen?

Auf die Songs aus dem letzten Album "So und nicht anders!". Aber natürlich werden auch die vielen alten Hits dabei sein, das ist völlig klar. Denn denen habe ich zu verdanken, dass ich heute überhaupt auf der Bühne stehen kann. Ich liebe es mit meinem Duoprogramm aufzutreten, denn da kann ich zwischendurch auch Hintergrundgeschichten erzählen zu den alten Hits, denn wenn man sie nur so singt, könnte es irgendwann langweilig werden. Man sollte aus dem Konzert heraus kommen und merken, dass es etwas mit Einem gemacht hat.

Vielen Dank für das Gespräch

Gern.


Für alle, die lieber Hören, hier das Interview in der gesamten Länge und im Stream.

Am 19. September spielt Purple Schulz im Rahmen des 10. poeTon-Festival in Nordhausen.
Die Website des Bürgerradio OKN

Montag, 8. Juni 2015

“Ich habe die letzten zwei Jahre genossen”

Dirk Schäfer im Interview zu den Reizen der Domfestspiele und des Chansons


Ich muss zugeben, auch ich bin ein Fan von Dirk Schäfer geworden. Deswegen war ich froh, dass sich nach seinem 2015er Auftritt sich schnell und unkompliziert ein Interviewtermin finden ließ. Was meine gewerkschaftende Mutter zum Wochentag und zur Uhrzeit gesagt hätte, das bleibt hier einmal außen vor.
Trotz der ungünstigen Uhrzeit entpuppte sich Dirk Schäfer als angenehmer Gesprächspartner, dem man die Freude am eigenen Schaffen anmerkte. als ergab sich ein echtes Gespräch und kein Frage-Antwort-Spiel. Wir redeten über das besondere Flair der Domfestspiele, über Chansons und die Lust am Inszenieren.

Herr Schäfer, warum kommen sie so gern nach Gandersheim zurück?

Ich habe die letzten zwei Jahre bei den Domfestspielen sehr genossen. Es ist schon etwas Einmaliges in dieser Gemeinschaft gemeinsam großes Theater produzieren zu können. Christian Doll hat die Domfestspiele in dieser Hinsicht weit nach vorne gebracht und ich habe es immer als großes Glück empfunden, hier sein zu dürfen.

Was gefällt Ihnen an der Arbeit mit Christian Doll so sehr?

So viel in so kurzer Zeit zu proben, wie bei den Domfestspielen, das ist schon eine Menge Holz. Das funktioniert nur, wenn die Gemeinschaft intakt ist und Christian Doll hat ein glückliches Händchen bei der Zusammenstellung seines Ensembles und auch beim Umgang mit den Kolleginnen und Kollegen.

Warum sehen wir Sie 2015 nicht mehr bei den Domfestspielen?

Eigentlich singt er ganz gern in Gandersheim.
Alle Fotos: tok
Ich habe eine Engagement am Staatstheater Kassel, unter anderem für “Kiss me, Kate”. die Vorproben beginnen im Juli, Premiere soll im Oktober sein, das passt mit den Domfestspielen nicht zusammen. Ich habe es genossen, in Bad Gandersheim leben und arbeiten zu dürfen.

Besteht noch Hoffnung? Bekommen wir Sie in Gandersheim  noch einmal zu sehen oder zu hören?

Ich denke schon. Christian Doll hat schon mal wegen eines weiteren Konzerts angefragt, aber konkret ist noch nichts.

Sie sind mit den Liedern von Piaf, Brassens und Brel erfolgreich. Was reizt Sie an diesem Material?

Für einen Schauspieler sind Chansons eine wahre Fundgrube. In kurzer Zeit entsteht hier ein ganzer Kosmos, in drei Minuten kann ich mit einem einzigen Lied eine komplette Figur entwickeln.

Wie passt die Musik zu ihrem Beruf als Schauspieler?

Ich finde, dass dies eine schöne Verbindung ist. Die Musik ist in den vergangenen Jahren zu einem immer größeren Teil meiner Tätigkeit geworden, sowohl die Übersetzung als auch die Aufführung.

Wo sind für Sie die Grenzen zwischen Theater und Musik?

Die Grenzen sind fließend und ich suche die Verbindungen, die Parallelen. Ich war schon immer an jeder Art von Crossover interessiert. Dort können großartige und spannende Projekte entstehen. Für mich gehört beides zur künstlerischen Realität, weil ich mit beiden Mittel Aussagen machen kann.

Mit den Chansons sind sie schon lange unterwegs. Im aktuellen Programm ist der Tango dazu gekommen. Warum?

Nein, es war anders herum. Das Tango-Programm entstand schon 2007 aus Gesprächen mit einem Kollegen aus dem Fach Tanz. Es ging uns damals um die beiden Ebenen Musik und Bewegung. Wir wollten die Musik körperlich umsetzen, denn natürlich spielt der Ausdruck in der Bewegung beim Tango eine übergeordnete Rolle. Irgendwann ist der Kollege nach Argentinien zurückgegangen, dann habe ich das Programm allein weitergeführt.

Dirk Schäfer und Wolfgang Nerlich haben Spaß an
ihrer Musik.
Worin besteht für Sie der Reiz des Tangos?

Es ist die Theatralik. Der Tango ist ein Spiegel des Lebens und er ist eine Auseinandersetzung mit Eckdaten der Existenz. Dramaturgisch bin ich bei diesem Programm auf allen Ebenen gefordert.

Was spricht für eine Verbindung von Tango und Chanson?

Es gibt einige Gemeinsamkeiten dieser Musiken, die klare Struktur und der Kosmos, der entstehen kann. Zudem begegnen sich beide Welten ständig. Der Tango spielt immer noch eine große Rolle in Paris und dort gibt es Freiflächen, auf denen sich Menschen regelmäßig zum Tango tanzen unter freiem Himmel treffen. In Frankreich ist der Tango-Chanson eine eigenständige Disziplin.

Sind deswegen in ihrem Programm die Grenzen zwischen den Genres fließend?

Ja, wie ich schon sagte, ich finde ein großes Gefallen als diesem Crossover-Geschichte, auch musikalisch.

Tango und Chanson steht doch eher für Traurigkeit und Enttäuschung. Sind sie auch ein trauriger Mensch?

Nein gar nicht. Unser Programm hat auch viele humorvolle Seiten. Nur traurig sein, das kann ganz schön anstrengend sein. Aber wenn die Trauer ohne Kitsch ist, dann kann sie sehr poetisch sein und das findet ich wunderschön.

Karsten Schnack und das Akkordeon sind die
Grundlage.
Ich stelle die These auf “Dirk Schäfer singt nicht, Dirk Schäfer inszeniert Musik”. Wie können Sie diese These widerlegen?

Dass muss ich gar nicht. Diese Inszenierung mache ich  bewusst. Meine Liedmaterial zeichnet sich durch eine Struktur aus, die es mir erlaubt, innerhalb von drei Minuten einen ganzen Kosmos entstehen zu lassen.

Nächste These: Sie sind kein Interpret, sie arrangieren ihr Material neu.

Ja, ich übersetze die Songs meist ins Deutsche und dabei greife ich auch in die Vorlage ein. Ich passe auch schon einmal die Geschichte an heutige Bedingungen an, denn ich mach keine Musikgeschichte. Ich nehme mir die Freiheit, etwas neu zu erzählen und etwas zu sagen, was nur ich sage. Mein Milord ist ein anderer als der von Edith Piaf. Deswegen greife ich auch in die Musik ein.

Wie sieht der Eingriff aus?

Wir sprengen zum Beispiel die Tempi und arrangieren sie neu. Es geht um das Erzählen einer Geschichte und die Melodie muss dazu passen.

Macht das Publikum dies immer mit?

Natürlich kennen wir die Erwartungen der Zuhörer. Wir spielen auch damit und wir haben Spaß am Brechen von Gewohnheiten. In einem Chanson ist immer eine Spur angelegt. Wir verlassen diese Fährte und legen eine neue Spur an. Das Publikum kann sich dann entscheiden, welcher Spur es folgt.

Darf das Publikum angesichts dieser Neuerungen noch mitklatschen?

Natürlich, spätestens zum Schluss darf das sein. Da haben wir keine Berührungsängste.


Wer gibt auf der Bühne die musikalische Marschrichtung vor?

Unser Programm ist auf Gemeinschaft angelegt. Das Trio Total, das sind großartige Musiker und sie tragen den Abend inhaltlich voll mit. Es macht großen Spaß, mit Karsten Schnack zu arbeiten. Sein Akkordeon ist das führenden Instrument in diesem Programm, das passt zum Tango und darauf bauen wir dann auf.

Herr Schäfer, ich danke Ihnen für das Gespräch.


Dirk Schäfer Homepage

Das Konzert 2015
Das Konzert 2014

Die Website der Gandersheimer Domfestspiele

Montag, 11. Mai 2015

“Ich komme gern nach Göttingen”

Interview mit der Gambaistin Hille Perl



Wenn meine Mutter, die alte Gewerkschafterin, wüsste, dass ich auch am 1. Mai arbeite, ja dann ...
Aber es stand ein Interview mit Hille Perl auf dem Programm und trotz der frühen Morgenstunden ergab sich ein formloses Gespräch.

Immerhin zählt die Dame zu den Besten ihres Faches. Im Rahmen der Händel-Festspiel geben Hille Perl und ihr Mann Lee Santana am 17. Mai ein Gastspiel in Schloss Herzberg. Im Interview sprach sie über den ganz besonderen Flair des Festivals.

Frau Hille, ihre neueste CD ist “Born to be mild”, ein aus Alter Musik und Rockklassikern. Wie ist es zu dem Projekt gekommen?


Ich bin nicht nur Profimusikerin, zumTeil bin ich auch Hobbymusikerin. Schon seit Jahren machen wir mit Nachbarn zusammen einfach so Musik. Unsere Band ist die Dead Poet Society und jeder hat etwas mitgebracht. Da kamen dann Songs von Pink Floyd oder The Band zusammen. Mein Mann, zum Beispiel, der spielt so gern diese wahnsinnig komplizierten Stücke von Pat Metheny. Weil ich nun mal am besten kann, spiele ich auch dort Gambe. Ummnich gegen die ganzen elektrischen Instrument durchzusetzten, habe ich mir schon vor einiger Zeit eine E-Gambe gekauft.
Hille Perl unterscheidet lebendige

und nicht lebendige Musik.  


Man kann E-Gamben frei im Handel kaufen?


Ja, es gibt eine ganze Reihe von sehr unterschiedlichen Modellen, bis hin zu Gamben, die nur noch aus einem Brett und den Pick-ups bestehen. Mein Modell gleicht eher einer Westerngitarre. Auch ohne Strom kommen Töne heraus, die sind eben nur lauter, wenn ich den Verstärker anschließen.


Für die Aufnahmen haben Sie eine ganze Reihe von Effektengeräten vorgeschaltet. Mussten Sie ihr Instrument neu lernen?


Als Musikerin weiß, dass man sich mit neuen musikalischen Herausforderungen intensiv beschäftigen muss. Bar ich bin ja in er kofortablen Lage, dass ich ausreichend Zeit zum Üben habe. Dass muss wohl an einem Beruf liegen.


Born to mild haben Sie mit ihrer Tochter aufgenommen. War das eine besondere Erfahrung?


Mein Mann war auch mit dabei. Aber ich schätze die Arbeit mit unserer Tochter. Sie ist eine ganz sensible Musikerin mit einen großartigen Verständnis für die Literatur. Aber es war nicht unsere unsere erste gemeinsame Produktion. Wir haben vor zwei Jahren mit "Elements" schon mal eine Mutter-Tochter-Duo-CD gemacht.


Aber sind Sie auch ein Familienmensch?


Doch ganz eindeutig. Ich bin ein Familienmensch und für meine Tochter und meine Enkel würde ich ich zerreißen und in Stücke schneiden lassen.


Werden Sie in Herzberg auch Stücke aus der aktuellen Produktion spielen?


Nein, zu den Händel-Festspielen werden wir Werke von Händel und Artverwandtes präsentieren. Neben Händel gibt es Weiss, Ruhe, Schenk und Höfflerus.


Sie kehren also zur Alten Musik zurück?


Ja, das schon, aber den Begriff Alte Musik, denn würde ich nicht verwenden. Für mich gibt es nur lebendige und nicht lebendige Musik, das ist keine Frage der Ära. Ich halte unser Programm für lebendiger als zu Beispiel Musik von Stockhausen. Nur weil ein Komponist schon länger tot ist als ein anderer, ist er nicht mehr tot. da gibt es keine Steigerung. Tot ist tot, aber was zählt ist die Frage, um seine Musik lebendig geblieben ist.


Perl und Santana gibt es meist nur im Doppel-
pack. Alle Fotos: www.hillenet.net
Waren Sie sich mal in Herzberg?


Nein, noch nie, aber ich habe mir erzählen lassen, dass der Rittersaal ein ganz hervorragender Konzertsaal sein soll. Ich freue mich schon auf den Auftritt. Außerdem komme ich gern zu den Händel Festspielen zurück. Ich war schon mehrfach mit dem Freiburger Barockorchester zu Gast und eine Oper habe ich mit Kollegen und Freundinnen wie Dorothee Oberlinger hier auch schon mal umgesetzt.


Was macht die Faszination der Händel-Festspiele aus?


Na ja, erst mal muss ich nicht weit fahren, das ist gewissermaßen vor der Haustür. Nein, im Ernst, es ist diese besondere Atmosphäre in Göttingen und in all den wunderbaren Festspielorten. Man spürt die Begeisterung des Publikums ganz eindeutig.


Wie sieht ihr Terminkalender bis zu den Festspielen aus?


Mein Mann und ich,wir machen noch eine kleine Tournee und kommen direkt aus Spanien nach Herzberg. Aber erst mal mache ich mit zwei befreundeten Schauspielerin ein Seminar über Annette von Droste-Hülshoff, ihr Leben  und ihr vielseitiges Schaffen.


Aber Droste-Hülshoff gilt auch nicht als Alte Musik.


Wie bereits sagte, kann ich mit solchen Kategorien wenig anfangen. Annette von Droste-Hülshoff steht in erster Linie für Poesie. Musik ist auch Poesie, nur eben ohne Worte. Da ist die Gemeinsamkeit.


Frau Perl, ich danke ihnen für das Gespräch.

Zwei Wochen später: Das Konzert


Die offizielle Website von Hille Perl
Hille Perl bei wikipedia