Mittwoch, 27. Februar 2013

Büschking: Das Rentenniveau bleibt gefälligst


Im Herbst 2012 gab es viele Vorschläge, um das Renteniveau zukünftig auf einen erträglich oder erklecklich hohen Niveau zu halten: Betriebsrente, Solidarrente und Zuschussrente. Also brauchte ich einen Rentenexperten und kontaktierte den Landesverband Niedersachsen des Sozialverband Deutschland (SoVD). Als ich dann mitPressesprecher Matthias Büschking einen Gesprächstermin vereinbarte hatten, war es das erste Mal, dass eine Facebook-Bekanntschaft in eine reale Begegnung umgemünzt wurde. Das war das erste Aha-Erlebnis.
Seit 1989 befrage ich Leute für Geld. Dabei hatte ich schon das ein oder andere bemerkenswerte Begebenheit. Aber das mein Interviewpartner eine satte halbe Stunde zu früh, ich wiederhole: zu früh am Sprachort erscheint, das hatte ich bis dahin noch nicht erlebt. Das war das zweite Aha-Erlebnis.
Auch meine Kamera war so perplex, dass sie nicht so woolte wie sie sollte. Das Gespräch fand im Oktober 2012 statt.


Herr Büschking, an Vorschlägen für die künftige Rente mangelt es derzeit nicht. Welche Vorstellungen hat der Sozialverband Deutschland zur Altersversorgung der Zukunft?

Wir sehen die Politik schon auf den richtigen Weg, auch die Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen. Schwierigkeiten hat der SoVD eher mit den Vorstellungen der FDP. Das Ausmaß der Altersarmut derzeit und vor allem bei den zukünftigen Rentner nicht wirklich in Zahlen zu fassen. Deshalb hat der SoVD schon vor 10 Jahren Horrorszenarien entwickelt, in die wir nun hineinschlittern. Egal um welche Vorschläge es geht, wir müssen aufpassen, dass das Leben der Rentner ein menschenwürdiges Leben ist. Da nimmt die Politik die Realität nicht richtig zur Kenntnis.

Matthias Büscking war eindeutig
zu früh da. Foto: SoVD
Was gefällt ihnen an der Rentenpolitik der FDP nicht?

Zum Beispiel die Forderung nach Senkung der Beitragssätze. Sollte sich die FDP in dieser Frage durchsetzen, bringt dies den Arbeitnehmern maximal 80,- Euro mehr pro Jahr. Aber die Vielzahl der Arbeitnehmer bringt den Ausschlag nach unten. Für den einzelnen Arbeitnehmer ist die Entlastung nicht spürbar, aber die Menge macht es. Mittelfristig läuft das Rentensystem über diese minimale Entlastung leer und zudem würden die Unternehmen stärker davon profitieren als die Arbeitnehmer.
Wir brauchen stattdessen eine Diskussion über das Rentenniveau. Aber auch die Vorschläge von Sigmar Gabriel gefallen uns nicht. Sein Konzept wirkt halbfertig und ist durchaus geeignet, ein neues System der Ungleichheiten zu befördern. Aber egal ob von der Leyen oder Gabriel, von den aktuellen Vorschlägen würden nur 20 Prozent der Rentner profitieren. Dafür sind die Anforderungen zu hoch und die Vorschläge gehen damit am Kern vorbei.

Die Frage ist fast schon zwangsläufig. Wie soll das finanziert werden?

Es ist keine Frage der Finanzierung allein, es ist auch eine Frage der Reichtumsverteilung. Für alle Altersklassen kann man feststellen, dass 10 % der Bevölkerung in Deutschland über 63 Prozent des Vermögens verfügen. Im Alter kommt dieses Ungleichgewicht sogar noch stärker zur Geltung.
Wir haben in Deutschland bereits eine 3-Klassen-Medizin, bei der Rente können wir das nicht gebrauchen.

Aber das beantwortet die Frage nach der Finanzierung nicht.

Natürlich brauchen wir eine staatliche Unterstützung zur Rente, egal wie ob sie das Zuschussrente oder Solidarrente nennen. Dieser Beitrag muss steuerfinanziert sein, das geht nicht anders. Aber die Grundkritik des SoVD bleibt das Rentenniveau. Bei 43% Prozent ist der Weg in die Altersarmut vorprogrammiert.

Ist ein Zuschuss-System auf Dauer den Bürgern und Steuerzahlern zu vermitteln?


Deshalb müssen wir die Finanzierung auf eine breite Basis stellen; nicht zuletzt, weil immer weniger Beitragszahler immer mehr Bezieher tragen müssen. Dies setzt die Einbeziehung aller Berufsgruppe und aller Einkommensarten in die Beitragszahlungen, also auch die Selbstständigen und die Beamten. Nur ein gesundes System ist auch ein leistungsfähiges System. Aber vielleicht gehen die Politiker so leichtfertig mit der Zukunft der Rentenversicherung um, weil sie nicht in diesem gesetzlichen Sozialsystem stecken.

Sie sprechen so viel vom System. Wollen Sie ein neues Rentensystem?

Wir brauchen in Zukunft ein Mehr an Solidarität, deshalb spricht sich der SoVD für eine Bürgerversicherung aus. Daran führt kein Weg vorbei. Diese Solidargemeinschaft schließt alle Berufstätigen als Beitragszahler ein. So könnte die staatliche Unterstützung begrenzt werden. Was wir auf jeden Fall nicht brauchen, ist ein System, dass sich verselbstständigt hat und nicht in der Lage ist, sich selbst zu heilen. Dieses Problem haben wir ja schon im Gesundheitssystem. Und ich möchte es noch einmal ganz deutlich sagen: das Rentenniveau bleibt gefälligst bei 50 Prozent.

Herr Büschking, ich danke ihnen für das Gespräch.

Dienstag, 19. Februar 2013

Schäfer: Schwächen eingestehen ruiniert den Marktwert

Nach dem Tod von Robert Enke ist viel über den Druck im Profisport gesprochen worden. Doch so schnell, wie das Thema auf die Tagesordnung gesetzt wurde, so schnell verschwand aus auch wieder aus der öffentlichen Diskussion. Im März 2011 legte Rainer Schäfer mit "Rote Karte Depression" die Leidensgeschichte von Andreas Biermann als Buch vor. Mit dem Eingeständnis seiner Erkrankung hatte der gebürtige Berliner unfreiwillig seine Karriere im Profi-Fußball beendet. Im September 2011 kam Rainer Schäfer auf Lesereise nach Northeim, mein Ex-Chef Armin Koch stellte den Kontakt her und nach mehreren Anläufen sprachen der Sportjournalist und ich über Erwartungen und Tabus im deutschen Fußball. 3 Tage zuvor hatte die Villa des damaligen Bayern-Spieler Breno gebrannt, 2 Tage zuvor hatte Ralf Rangnick sein Amt überraschend abgegeben.
Rainer Schäfer ist überhaupt der Mann für die Tabu-Themen im deutschen Fußball. Im August 2011 veröffentlichte er mit "René Schnitzler.Zockerliga" die Geschichte eines Fußballers mit Verstrickungen zur Wett-Mafia

Herr Schäfer, Brandstiftung,Burn-out und Depressionen. Was ist los mit Deutschland Fußballprofis?

Ja, täglich gibt es Neues und es ist schon erstaunlich, was derzeit an die Öffentlichkeit kommt. Das zeigt aber vor allem, dass der Fußball nicht mehr das geschlossene System ist, das er mal war. Nun werden zumindest einige wenige Probleme des Fußballs thematisiert. Aber dennoch dringt immer noch zu wenig nach draußen und manche Themen werden ganz unter Verschluß gehalten.

Für Rainer Schäfer ist die Welt des
Fußballs keine heile Welt. Foto: Verlag
Man könnte meinen, Sie stehen mit dem Fußball auf dem Kriegsfuß. Täuscht der Eindruck?

Der Eindruck täuscht sehr. Ich liebe das Spiel, aber ich mag das Umfeld nicht, in dem es gespielt wird. Seit 20 Jahren beschäftige ich micht mit der Welt des Profifußballs und ich muss schon sagen, dass dort archaische Werte gelebt werden, die aus anderen Bereichen des menschlichen Zusammenlebens längst verschwunden sind.
Vielfach gilt immer noch das Bild vom Fußballprofi als makellosen Helden. In solche einem Umfeld werden Themen wie Spielsucht, Homosexualität oder eben Depression einfach unter den Teppich gekehrt. Dabei ist gerade die Welt des Fußballs bestimmt keine heile Welt und dort gibt es nicht nur Lichtgestalten

Eine einfache Erklärung für die Ereignisse der letzten Woche lautet, dass die Erwartungen an die Fußballer immer größer werden. Teilen Sie diese Einschätzung?

Nein, gar nicht. Diese Theorie gilt, wenn überhaupt, nur für einen Teil der Zuschauer. Für die organsiierten Fans, zu denen ich einen guten Kontakt habe, kann ich das nicht sagen.
Es ist vor allem das Selbstbild, an dem die Fußballprofis leiden. Dieses Bild wird von den meisten Medien nichthinterfragt, denn vielen Journalisten fehlt die kritische Distanz. Sie sind viel zu nah an den Profis und viele pflegen falsche Freundschaften. Also verstehen sich viele Journalisten als Verbündete und dabei fällt die objektive Begleitung weg.

Herr Schäfer, dann kann man die Selbstoffenbarung von Ralf Rangnick oder Andreas Biermann und die Unterstützung aus ihrem Umfeld doch nicht hoch genug einschätzen?

Nein, auf die Solidaritätsbekundungen fürRalf Rangnick gebe ich nicht viel. Schauen Sie, Andreas Biermann hat das Eingeständnis seiner Depressionen die Karriere gekostet, obwohl er spielerisch in der zweiten Liga immer mithalten konnte. Trotz der Lippenbekenntnisse vieler Trainer bekommen Spieler mit seelischen Schwächen in diesem Geschäft keine zweite Chance. Das Eingeständnis von Problemen stört die Vermarktung und zerstört den Marktwert Ich denke, dass Ralf Rangnick mit negativen Konsequenzen rechnen muss.

Herr Schäfer, ich danke ihnen für das Gespräch.


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Donnerstag, 14. Februar 2013

Kelek: Sozialstaat und Rechtsstaat sind große europäische Leistungen

Sozialstaat und Rechtsstaat sind große europäische Leistungen

Im Herbst 2010 war Necla Kelek auf Lesereise in Deutschland unterwegs und so kam sie auch nach Osterode. Natürlich nahm ich das Angebot eines Telefoninterviews sofort an und war erstaunt, wie einfach es war, die Autorin an den Hörer zu bekommen. Keine Geheimnummer und niemand, der die Verbindung herstellt, einfach anrufen und gut war. Dabei hatte doch “Himmelreise - Mein Streit mit den Wärtern des Islams” doch für einiges Aufsehen gesorgt. Als si dann auch noch erzählte, dass das Ausmaß der Drohungen sich in Grenzen hält, war ich umso erstaunter, schließlich hatte sie mit ihren Werken die Debatte um die Integration maßgelblich beeinflusst und das offen ausgesprochen, was viele nur vermutet haben.
Auch ich habe nach dem Interview noch einmal intensiv über kollektive und individuelle Identitäten nachgedacht. Das Gespräch fand im November 2010 statt.

Frau Kelek, das Bundeskabinett hat beschlossen, Zwangsheiraten künftig als eigenen Straftatbestand zu behandeln. Was erwarten Sie von dieser Regelung?

Dies ist ein großer Fortschritt, denn nun ist eine Strafverfolgung von außen möglich und der Staatsanwalt kann auch von sich aus tätig werden. So bleibt das Thema in der öffentlichen Diskussion und diese kann in die Familien getragen werden.

Die Debatte um die Integration wird in Deutschland vornehmlich als Reiligionsdebatte geführt. Warum?
Die Wahrheiten von Necla Kelek
schmecken nicht jedem.  Foto: Verlag


Das geht vor allem um den organisierten Islamismus zurück. Dieser versucht, die Gesellschaft in religiöse Kollektive aufzuteilen. In diesem Zusammenhang haben mich die Äußerungen des Bundespräsidenten zum Christentum, zum Judentum und zum Islam aufhorchen lassen. Wir leben in einem Bürgerstaat und Europa hat auch nicht-chrisltliche Wurzeln wie zum Beispiel das klassische Griechenland, wie Sokrates und Aristoteles. Zudem hat die Renaissance das Christentum verändert und die Freiheit des Einzelnen begründet. Diese individuelle Freiheit ist ein wichtiger Bestandteil unseres politischen System, im Islamismus ist sie aber komplett verlorengegangen.

Sie sagen, dass man die Philosophie in den Islam zurückbringen muss. Was sollten wir tun in der Auseinandersetzung mit dem Islamismus?

Der Rechtsstaat und der Sozialstaat sind große europäische Leistungen. Das müssen wir viel stärker vertreten und den Migranten muss deutlich sein, welche Leistungen Deutschland in den letzten 60 Jahren erbracht hat.
Wir müssen auch deutlich machen, dass Freiheit mehr ist als die Freiheit einer kollektiven Religion, so wie es die gemäßigten Islamisten immer fordern. Es geht um die Freiheit des Einzelnen, auch vor der Reiligion. In Neukölln oder in Wedding sind mittlerweile Parallelwelten entstanden, in denen Prediger in den Moscheen den männlichen Teil der islamischen Welt kontrollieren. Das geht schon so weit, dass man bein Verstößen gegen deren Gebote besser den Stadtteil verlässt.

Ist also islamischer Fundamentalismus in erster Linie ein männliches Problem?

Hier wirken eindeutig vorislamische Traditionen und das Patriachat. Die Männer nehmen die Predigten aus den Moscheen mit nach Hause in die Familien. Dort beanspruchen sie das uneingeschränkte Sagen, denn nach islamistischer Auffassung sind Frauen der Besitz der Männer. Das geht viel weiter, als nur zu bestimmen “Du bleibst zuhause”. Gewalt gegen Frauen wird hier religiös legitimiert, aber letzlicht wirken hier Traditionen aus der vorislamischen Zeit und schaffen bis heute Realität. Zudem gibtkeine kritische Auseinandersetzung mit dem Koran und seiner Entstehungsgeschichte, anders als im Christentum.

Frau Kelek, ich danke Ihnen für das Gespräch.

Das Buch 

Mittlerweile ist  "Die Himmelsreise" auch alsTaschenbuch bei Goldmann erschienen.

Die Autorin

Donnerstag, 7. Februar 2013

Kienzle: Wir müssen das Risiko aushalten


Wir müssen das Risiko aushalten


Ulrich Kienzle über seinen Versuch, die Araber zu verstehen

Im Dezember 2010 brach der Arabische Frühling aus und die Welt war überrascht. Jahrzehntelang brachte Ulrich Kienzle den Deutschen die Welt des Orients den Deutschen näher.  Im Sommer 2011 kam sein Buch "Abschied von 1001 Nacht - Mein Versuch, die Araber zu verstehen" auf dem Markt. Diese Teilbiographie war kein Beitrag zum Arabschen Frühling, machte aber deutlich, nach welchen Mechanismen  Politik in der arabischen Welt über Generationen hinweg funktionierte.
Im deutschen Herbst 2011 ging Ulrich Kienzle auf Lesereise und als ich das Angebot bekam, eine Telefoninterview mit ihm zu machen, sagte ich natürlich sofort: JA, aber gerne doch. Immerhin gehört auch Kienzle zu meinen Vorbilder. Das Gespäch dauert eine gute halbe Stunde, verlief sehr stringent und war wohl bepackt mit Informationen und Exkursen, die den Rahmen eines normalen Interviews sprengen würden. Natürlich erinnerte mich der Altmeister auch daran, meine Frage duetlich als solche zu formulieren. Den Satz "Nich Fragen, Kienzle?" konnte ich mir aber verkneifen. Belohnt wurden meine Bemühungen dann mit einer ganz persönlichen Widmung. Seid gewiß,das Buch gebe ich nicht mehr her.

Kienzle war jahrelang Deutschlands
Draht in den Orient. Foto: Verlag
Herr Kienzle, Sie haben ihr neuestes Buch „Abschied von 1001 Nacht genannt. Wer muss hier Abschied nehmen?

Wir haben in Deutschland ein falsches Bild vom Orient, wobei dieses Bild zwei Erscheinungsformen hat. Da ist zum einen der bewundernde Blick auf den Nahen Osten, der zurückgeht auf die Orientfaszination in Europa des 18. Jahrhunderts. Dies hat durch den Kolonialismus im 19. Jahrhundert deutlich gewandelt. Seitdem ist für viele Europäer die arabische Welt gleichbedeutend mit rückständig, gewalttätig und blutrünstig. Der Umgang mit den Getreuen des Gaddafi-Regimes und mit Gaddafi selbst scheint diese Auffassung zu bestätigen. Hinzu kommt in Deutschland eine große Angst vor Islamisten, obwohl die meisten von Uns den Unterschied zwischen islamisch und islamistisch gar nicht kennen.

Gibt denn nicht der Wahlsieg der Ennahdha-Bewegung diesen Befürchtungen neue Nahrung?

Wir werden uns daran gewöhnen müssen, dass die Welt islamistischer wird. Aber man kann die Zahlen auch anders lesen. 60 Prozent der tunesischen Bevölkerung denken nicht islamistisch. Aber dennoch löst der Wahlsieg Irritationen aus, denn es schwer verständlich, dass die Islamisten Sieger einer Revolution sind, die laizistisch begonnen hat. Andererseits profitieren die Islamisten nach der Verfolgung durch das alte Regime von ihrem Image als Märtyrer. Zudem hat sich die Ennahdha-Bewegung ganz praktisch um die sozialen Probleme im Land gekümmert.
Aber nach den Aussagen der internationalen Wahlbeobachter sind die Wahlen fair abgelaufen. Allein dass ist schon ein erstaunlicher Vorgang für den Maghreb. Die arabische Welt ist noch immer  keine lupenreine Demokratie. Aber es herrscht nicht mehr die Gewalt und wahrscheinlich müssen das Risiko des neuen Orient ausprobieren. Die moslemischen Parteien müssen nun zeigen, dass sie regieren können. Das größte Problem wird dabei die enorme Arbeitslosigkeit sein. Schauen Sie, die Türkei hat sich ja auch weiterentwickelt.

Wo sehen Sie die Parallelen zur Türkei?

Am Beginn seiner Regierungszeit war Ministerpräsident Erdogan vielen Politikern im Westen suspekt. Bei einigen stand er unter dem Verdacht des Islamisten und vielleicht war das auch. Aber die Türkei ist in der Region in einiger Hinsicht ein Vorbild. Und ich denke, dass die türkische Politik gar nicht so sehr nach Europa schauen wird, sondern in den Nahen Osten. Wie gesagt, die Türkei ist ein Vorbild für viele Staaten in der Region und als Brücke zur islamischen Welt auch ein Gewinner der Entwicklung. Israel hingegen ist nun in einer schwereren Lage, denn die Regierungen der zukünftigen arabischen Demokratien werden sicher in der Israel-Frage auch den Druck der eigenen Bevölkerung verspüren.

Welcher der arabischen Staaten hat ihrer Meinung nach die besten Chancen?

Wenn man nur die ökonomischen Daten schaut, dann hat Libyen die besten Chancen, denn es verfügt über enorme Ölvorräte. Aber Libyen ist ein Sonderfall, denn es ist im Grunde genommen ein Gespensterstaat ohne organisierte Verwaltung. Muammar al-Gaddafi hat seine Macht auf wenige Stämme begründet und er hat sich selbst und auch wohl überlegt immer als der „erste Bruder“ bezeichnet. Und da ist zum Anderen das Problem, 40 verschiedene Milizen unter Kontrolle zu halten. Wenn ich an den Tod Gaddaffis denke und an das Massaker unter seinen Anhängern, dann habe ich schon Zweifel am rechtsstaatlichen Handeln der neuen Führung. Auch die Zurschaustellung der Leichen scheint alte Vorbehalte zu bestätigen. Aber einen Hoffnungsschimmer gibt es immer.

In ihrem Buch schildern sie die Niederschlagung der Brotunruhen auf dem Tahrir-Platz in Kairo 1977, die sie aus nächster Nähe miterleben haben. 34 Jahre später siegt die Revolution in wenigen Wochen. Was sind die Unterschiede?

Als die Demonstranten den Tahrir-Platz besetzten, sagte ich zu meiner Frau, dass der Aufstand wohl wie 1977 schon in wenigen Tagen beendet sein wird. Aber wir müssen unsere Vorstellungen ändern. Wir haben es in der arabischen Welt mit jungen Menschen zu tun, die wollen das die islamische Welt den Anschluss an das 21. Jahrhundert schafft. Und diese jungen Menschen wollen das selbe wie wir Europäer, nämlich Freiheit, Menschenrechte und Demokratie, und sie wollen sichere Lebensverhältnisse. Ich war selbst ein wenig erstaunt, denn schauen Sie mal, Aiman al-Zawahiri, die Nummer Eins der al-Quaida, hat 30 Jahre lang versucht, das Regime von Mubarak zu stürzen und es nicht geschafft. Die jungen Menschen vom Tahrir-Platz haben dies innerhalb von 18 Tagen geschafft.

In ihrer Autobiografie schildern Sie, wie die ägyptische Regierung 1973 ihre Berichte aus dem Yom-Kippur-Krieg einfach weggeschlossen. Ist das heute noch möglich?

Nein, das ist schon technisch nicht möglich. Damals mussten die Filme noch ausgeflogen werden, heute gibt es lauter Satelliten für die Übertragung. So hat al-Dschasira viele Verkrustungen aufgebrochen. Der Sender hat sicherlich auch umstrittene Seiten, aber er hat doch für ein gr0ßes Bedürfnis nach Information und Transparenz in der Region gesorgt.

Herr Kienzle, ich danke Ihnen für das Gespräch.

Mehr zum Buch 

Montag, 4. Februar 2013

Wallwitz: Ein Irrweg der Wirtschaftswissenschaft


"Wir würden keine Hungernöte verhindern"

Interview mit Fondmanager und Autor Georg von Wallwitz


Natürlich kommt man in den Zeiten der Dauerkrise nicht an Finanzthemen vorbei Das Gespräch mit Georg von Wallwitz war mein erstes Interview mit einem Börsianer. Zur Vorbereitung hatte ich sein gerade erschienenes Buch „Odysseus und die Wiesel“ gelesen, eine amüsante, fundierte und selbstkritische Einführung in das Geschehen an den Börsen der Welt. Obwohl im Untertitel was von Einführung steht, verzichtet „Odysseus und die Wiesel“ auf theoretische Grundumschläge und naturwissenschaftliche Pseudo-Begründugen, ist also eher ein Buch in der Tradition englischer Populärwissenschaft. Auch im Gespräch zeigte sich der Fondmanager eloquent
Das Gespräch fand im August 2011 statt. Von Wallwitz scheint immer noch einer der wenigen Börsianer zu sein, die über ihr Handeln auch reflektieren.

Herr Wallwitz, in ihrem Buch ist die Börse immer wieder ein paradiesischer Zustand, der nicht lange Bestand hat. Passen der Mensch und die Börse nicht zusammen?

So will ich das nicht sagen. Mein Buch ist eher eine Reflektion darüber wie Menschen ein System in die Instabilität führen. Menschen haben die Tendenz positive Dinge auszureizen bis sie sich ins Gegenteil verkehren. Aber deswegen würde ich die Finanzmärkte nicht abschaffen.

Georg von Wallwitz hat einen
Hang zu Odysseus. Foto:Verlag
In der derzeitigen Lage klingt diese Lösung doch sehr reizvoll.

Das würde die Situation auch nicht besser machen, wenn künftig Beamte die Warenströme regulieren. Wir würden auch keine Hungernot verhindern, wenn der Markt nicht ausreichende Anreize gibt. Regulation übt aber auf viele Menschen eine Faszination aus.

Also wohnen ach zwei Seelen in der Brust des Börsianers?

Natürlich gibt es den menschlichen Drang zu Sicherheit. Wir Menschen fühlen uns wohler, wenn das Leben planbar erscheint und wir das Gefühl haben, die Dinge im Griff zu haben. Das ist auch ein Irrweg der Wirtschaftswissenschaft. Sie erweckt den Eindruck, sie sei eine Naturwissenschaft, die alles berechnen kann, und bekommt dafür vom Konsumenten ein positives Feedback.

Verstehe ich Sie richtig, dass dieser Eindruck täuscht?

Wirtschaftswissenschaft ist eine Sozialwissenschaft, weil sie es mit Menschen zu tun hat. Außerdem hat sie es mit sehr komplexen Abläufen. Niemand kann zum Beispiel vorhersagen, wie die Ernte im nächsten Jahr ausfällt, obwohl dies einen großen Einfluss auf die wirtschaftliche Situation eines Landes hat. Niemand kann die amerikanische Wirtschaftspolitik im nächsten Jahr vorhersagen.

Ist das Bedürfniss nach Sicherheit so groß, dass es sich in Form von Ratingagenturen institutionalisiert werden muss?

Es scheint so und manchmal habe ich das Gefühl, dass uns die Agenturen Fondmanagern ein wenig das Denken abnehmen. Dieses Modell strahlt viel Sicherheit aus, die sich oft als Illusion erweist. In Deutschland setzt sich ein kultureller Strang fort, der im 19. Jahrhundert seinen Anfang nahm. Diese abschätzige Blick auf die angelsächsische Krämerseele und das perfide Albion waren damals ein Allgemeinplatz. Dem setzte Wagner in seinem Meistersingern den goldenen Boden des deutschen Handwerks entgegen. Heute lässt sich der Deutsch dreimal beraten und liest vier Testberichte, wenn er für 100 Euro einen DVD-Player kaufen will. Aber auf die Regelung seiner Finanzen verwendet der Durchschnitt nicht mehr als 15 Minuten in der Woche. Dann vertrauen viele Deutsche ihr Geld Leuten an, die sich vorher besser anschauen sollten. Dies Verhalten ist nicht einmal von der Bildung abhängig. Auch unter deutschen Akademikern spricht man nicht über Geld.

Brauchen wir also mehr Wirtschaftsunterricht in den Schulen?


Wirtschaftliche Grundbegriffe sollten schon in der Schule behandelt werden. Viele Menschen kennen den Unterschied zwischen einer Aktie und einer Anleihe gar nicht. Diese Unkenntnis tut der Diskussion nicht gut. Ich denke, auch deswegen derzeit so viel über den Euro diskutiert wird. Etwas mehr Aufklärung täte hier Not.

In ihrem Buch äußern Sie sich skeptisch über den Computerhandel. Fühlen Sie sich über den Börsensturz der letzten Woche bestätigt?


In einer solchen Phase wie der jetzigen wird jedes Gerücht geglaubt. Ausgelöst hat den Sturz ein Broker in London, der auf eine Senkung der Bonitäts Deutschland spekuliert hat. Natrlich ist das kriminell, aber solch ein Gerücht reicht, um Abwärtsmechanismen in Gang zu setzen. Diese Automatismen funktionieren aber auch, weil die Wiesel in uns in Panik geraten. Dann kollabiert der Zeithorizont und es zählt nur noch das Morgen und nicht mehr die langfristig Perspektive. Dann muss man als Fondmanager auch gegen sich selbst skeptisch bleiben.

Lesen lohnt sich. Foto: Verlag




Freitag, 1. Februar 2013

Wischmeyer: Niedersachsen und Usbekistan sind der härteste Markt der Welt

Dietmar Wischmeyer ist eine Legende, zumindest in Niedersachsen Im September 2012 führte der Altherrensommer ihn zusammen mit Hnas Werner Olm nach Hattorf. Im Vorfeld durfte ich ein Interview machen, ganz unkompliziert musste ich den erster Termin verschieben. Wischmeyer wollte gleich reden, ich war aber nicht vorbereitet. Beim zweiten Telefonat haben wir dann fast eine Stunde lang nett geplaudert. Ich konnte der Versuchung widerstehen, selbst witzig sein zu wollen, was nicht ganz einfach war. Es war nicht ganz einfach, dem Erfinder des Frühstyx-Radios gegenüber nicht in Unterwürfigkeit zu verfallen.
 Wischmeyer verzichtete darauf, den Text gegenzulesen. Natürlich war ich an dem Abend im DGH Hattorf und habe fürchterlich gelacht. Dass Wischmeyer den Auftritt einen Tag später in Veenermoor durch den Kakao gezogen hat, das nehme ich ihm übel. Das werde ich ihm beim nächsten Interview in der kommenden Woche auch noch mal deutlich sagen.

Herr Wischmeyer, im Frühjahr waren Sie mit Hans Werner Olm in Afghanistan. Was hat sie soweit getrieben?

Das lag an persönlichen Verbindungen. Wir waren vor 8 Jahren zur Betreuung im Kosovo. Unser damaliger Verbindungsmann ist nun im Afghanistan, so ist der Auftritt dort zustande gekommen. Unser Aufgabe war die Betreuung der Bundeswehr und wenn es die Jungs es nicht verdient haben zu lachen, wer dann.

Was hat sie an der Reise am meisten beeindruckt?

Die Situation in diesem Land mal ganz ungefiltert zu erleben, die ständige Bedrohung. Selbst die Fahrt vom Flughafen zum Camp haben wir in einem bombenfesten Bus gemacht. Überhaupt kommt man als Zivilist gar nicht aus dem Lager raus und das ist auch ganz gut. Nur völlig Irre machen so etwas, geraten in Gefangenschaft und hinterher darf die Bundesrepublik das Lösegeld zahlen.

Dietmar Wischmeyer beweist Treffsicherheit bei
der Auswahl der Kopfbedeckung. Foto: Kügler
Gibt es noch etwas, was man in Afghanistan nicht machen darf?

Witze über zu Guttenberg sollte man vermeiden. Bei allem Murks, den er hier angerichtet hat, war er der erste, der offen gesagt hat, dass die Bundeswehr in einem Kriegseinsatz ist. Deswegen genießt er in der Truppe immer noch ein hohes Ansehen.

Kosovo, Afghanistan und Hattorf, Herr Wischmeyer, haben sie ein Faible für die Gefahr.

Nein, wirklich nicht, zwischen den beiden Einsätzen lagen 8 Jahre und manchmal ist eine Fahrt auf der A 2 mindestens genau so gefährlich.

Unterwegs sind Sie mit Hans Werner Olm. Was für ein Typ ist er?

Ich arbeite schon viele Jahre mit ihm zusammen und bin immer wieder überrascht. Aber momentan weiß ich nicht, was ihn umtreibt. Früher lebte er nach dem Motto: Alles findet sich auf der Bühne. Aber jetzt bekomme ich ständig Mails und SMS von ihm, mit Ideen und Planungen zum aktuellen Programm. Ich weiß gar nicht, wie das alles umsetzen sollen.

Planung statt Spontanität; ist das ein Altherrenleiden?

Ja, dass kann sein. Hochbetagte Menschen neigen ja dazu alles zu planen. Meine Tante hat zum Beispiel ihre eigene Beerdigung genauestens vorbereitet, von den Gästen über die Lieder bis hin zum Leichenschmaus.

Was erwartet uns in Hattorf?

Es wird eine ganze Reihe von neuen Sachen geben. Wir wollten einige Sachen aus dem Afghanistan-Programm übernehmen, aber das geht nicht so nahtlos. Und einige Dinge entwickeln sich dann doch erst an dem Abend.

Was kommt nach dem Altherrensommer?

Derzeit arbeite ich mit Olli Welke an einem Buch über deutsche Helden. Der Titel steht schon fest: „Frank Brske macht Urlaub auf Krk“ wird nächstes Jahr im Januar erscheinen und eigentlich hätten wir das Manuskript schon letzte Woche abgegeben haben sollten müssten tun. Ansonsten mache ich das Übliche wie Texten fürdie  heute-show.
Dazu bin ich in vierzehn Tagen mit Oliver Kalkofe in Berlin zu sehen. Als Arschkrampen feiern wir ein Jubiläum im Planetarium.Vor zwei Jahren waren wir schon einmal dort. Der Ort ist schon schwer zu bespielen, mit einer  trockenen Akustik, ganz ohne Fenster und einer Atmosphäre wie im Atombunker. Passend zum Ort heißt unser neues Programm Arschkrampen im Weltall“. Außerdem läuft in Kooperation mit dem Frühstyxradio seit letzter Woche unsere neue Serie „Der Sturm auf das Leineschloss“, jeden Donnerstag um 8 nach 8 bei radio ffn, 21 Folgen bis zur Landtagswahl im nächsten Jahr.

Also eine Fortsetzung der „Nebel von Scandalon“ und des „Grafen von Bederkesa“?

Ja, es ist wieder ein Abgesang auf eine niedersächsische Landesregierung. Diesmal geht es darum, ob der einsame David McTornister dem Angriff des Grafen Weil von Warum und Wozu standhalten kann. Es geht darum ob, die Maschsee-Connection nach dem Abschluss des grauen Wulffs noch funktioniert und es geht um das sensationelle Enthüllungsbuch von Bettina Wulff.

Warum behaupten Sie, das Niedersachsen neben Usbekistan der härteste Witzemarkt der Welt ist?

Hier gibt es so vielen sehr gute Leute, deshalb sind die Ansprüche so hoch. Aber wir kämpfen natürlich auch immer gegen die Selbstgefälligkeit. Schauen Sie, die Franken, die laufen mit Scheuklappen durch die Gegend, da kann es keinen guten Humor geben. Für einen Franken oder auch für einen Schwaben ist Ironiefähigkeit ein Wort, das er nicht versteht. In Niedersachsen ist das anders und deswegen gibt es hier auch so einen feinen Humor.

Aber Sie reden von Humor, nicht von Comedy. Wo ist dort der Unterschied?

Comedy ist ein ekliger Ausdruck, der klingt nach allem möglichen, nur nicht nach Fachkraft. Nachdem das Privatfernsehen uns damit verseucht hat, machen die öffentlich-rechtlichen Sender den Unsinn nach. Aber Gott sei Dank geht der Trend zurück?

Herr Wischmeyer, folgende Situation: wir beide stehen zusammen an der Theke. Welchen Witz erzählen Sie mir?

Also, ich erzähle keine Witze, auch weil ich mir keine Witze merken kann. Außerdem kommt wirklich guter Humor aus der Situation heraus, da entstehen die besten Lacher. Trotzdem bewundere ich Leute, die gute Witze erzählen können. Das ist allemal besser als die neuesten Abenteuergeschichten aus dem Autofahrerland. Nach dem Motto“dann hat es da geblitzt und dann habe ich das und dies“. Das ist so ermüdend.
Überhaupt werden die besten Witze oft im Kindergarten erzählt. Deshalb den hier: Geht 'ne Schlange die Treppe hoch, oben stellt sie fest, dass sie gar keine Beine hat, also geht sie wieder runter. Oder den hier: Gehen zwei Streichhölzer die Straße entlang, treffen sie auf einen Igel, sagt das einen Streichholz „Wenn ich gewusst hätte, dass hier ein Bus fährt ...“. Ja, die muss man erst wirken lassen.

Herr Wischmeyer, ich danke Ihnen für das Gespräch.

Das Gespräch fand im September  2012 statt. Mittlerweile hat Wischmeyer seine Drohungen wahr gemacht. "Frank Brske macht Urlaub auf Krk"  ist im Januar bei Rowohlt erschienen und das Frühstyxradio feiert 25. Geburtstag.