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Mittwoch, 24. Juli 2024

Der Iran ist besser als sein Image

Dieter Nuhr über das Reisen und die Distanz zur Heimat

Reisen ist für den Kabarettisten Dieter Nuhr die Grundlage für ständiges Lernen, Verändern und Zurechtrücken und Reisen ist für den bildenden Künstler Dieter Nuhr das Thema für den größten Teil seiner Werke. Ich sprach mit ihm darüber und das Verhältnis von Wort und Bild. 


Herr Nuhr, wie weit muss man reisen, um genug Distanz zur Heimat zu haben?

Manchmal genügen ein paar Kilometer. Ich war heute in einem pakistanischen Restaurant, in dem man schon bald vergaß, nicht in Karachi zu sein. Aber der Weg nach Hause war dann doch recht kurz. Vor ein paar Wochen war ich noch im Ladakh. Da hat man das Gefühl, auf einem anderen Planeten zu sein. Dann ist das nach Hausekommen ein viel spektakulärerer Prozess. Je mehr Distanz man nach Hause hatte, umso überraschter ist der Blick auf die Heimat, wenn man wieder zurückkehrt.


Wo wollen Sie unbedingt noch einmal hin?

Ich kehre immer wieder gerne nach Indien zurück, aber auch in den Iran möchte ich gerne noch einmal reisen. Die Gastfreundschaft dort ist überwältigend und nirgendwo sonst unterscheidet sich die Vorstellung, mit der man in das Land fährt, so sehr von dem Bild, mit dem man zurückkehrt. Georgien ist immer fantastisch.

Wo wollen Sie ganz bestimmt nicht noch einmal hin?

Nordkorea brauche ich mit Sicherheit nicht noch einmal. Ich bin sehr froh, da gewesen zu sein, war aber niemals auch froher, ein Land wieder verlassen zu können.


Frau Ruhrberg  aus dem Museum Mönchehaus hat Sie in eine Reihe mit Caspar David Friedrich gestellt. Sehen Sie das als Lob oder als Belastung?

Da die Romantik immer noch prägend für unseren Blick auf die Welt ist, halte ich das für ein großes Kompliment. Seit dem beginnenden 19. Jahrhundert sehen wir Landschaft emotionsgeladen. Bis dahin galt Natur in erster Linie als Bedrohung. Ich finde es schade, dass viele Menschen praktisch nicht mehr in der Lage sind, Natur zu bewundern, ohne zwanghaft an ihren drohenden Untergang zu denken.


55 Ausstellungen in den letzten 11 Jahren, das klingt nach hyperaktiv. Stillen Sie damit einen Nachholbedarf? Oder ist es einfach die Freude darüber, dort angekommen zu sein, wo Sie ursprünglich hin wollten?

Für mich ist das blanke Freude. Kunst habe ich immer gemacht, dass ich sie jetzt auch zeigen darf, ist mir ein Vergnügen.


Sind Ausstellungen in nicht-deutschsprachigen Länder einfacher, weil dort der Kabarettist Dieter Nuhr nicht so präsent ist? Wirken Sie dort im Ausland eher als der bildende Künstler Nuhr?

Das ist mir schon angenehm, dass in China bei Ausstellungseröffnungen nicht nach meiner Sendung gefragt wird. Wenn ich da zur Biennale in Jinnan eingeladen werde, fragt kein Journalist, ob ein Promibonus im Spiel ist.


Sie bekennen sich zu digitalen Arbeit. Wäre eine solche Ballung an Ausstellungen mit analogen Mitteln überhaupt möglich?

Ich arbeite auch viel analog, aber ich möchte die Arbeiten in Ausstellungen nicht vermischen, damit das Ganze nicht am Ende aussieht wie ein Gemischtwarenladen.  



Wie sieht Ihre Position zum Unikat aus?

Ich stelle, mit Ausnahme von wenigen Editionen, bei denen klar und deutlich auf die Auflage verwiesen wird, nur Unikate her. Ich finde Einmaligkeit eine wichtige Eigenschaft. 


Was motiviert Sie, gelegentlich doch den Bleistift in die Hand zu nehmen?

Da ist einerseits Tradition im Spiel, manchmal auch der Reiz des Archaischen. Aber grundsätzlich mag ich die Arbeit am Tablet, weil sie so pur ist und ohne Materialien auskommt, sehr zeitgenössisch.


Einige Ihre Landschaften wirken, als wären sie im Maßstab 1:1 ausgedruckt. Warum müssen sie so groß sein?

Manche Bilder brauchen Größe, andere haben eher intime Wirkungen und sind klein, beides sind Möglichkeiten, die ich nutze. 


Wie viel Raum, wie viel Platz muss man diesen Werk geben, damit sie atmen und wirken können?

Grundsätzlich bin ich kein Freund davon, Bilder zu eng zu hängen. Ich mag es auch gerne, wenn ein kleines Bild eine ganze Wand füllt. In Goslar war das Ausstellungshaus klein, da musste man alles ein bisschen enger hängen, um auch ein bisschen Vielfalt zeigen zu können. Es kommt auch immer sehr stark auf die Architektur an, wie man hängt.


Sehe ich das richtig? Ihre Porträts werden immer reduzierter. Welche Absicht steckt dahinter? Warum überschreiten sie die Grenze zum Comic?

Ich reiße Personen immer gerne aus ihrem kulturellen Kontext heraus und setze sie in einen abstrakten Raum, damit sie als Individuen sichtbar werden und nicht als Teil der sozialen Gruppe, die wir mit Ihnen assoziieren. Dann stehen am Ende die Kinder aus dem Senegal gleichberechtigt neben einer Madonna mit Kind aus dem Mittelalter und meinen Urgroßeltern. So entsteht ein Panoptikum des Menschseins. Etwas Comicartiges kann ich in meinen Zeichnungen nicht erkennen. Die Zeichnung geht immer mit feinen Strichen los, um dann deutlicher zu werden.


Wann erscheint die erste Graphic Novel von Dieter Nuhr?

Mit Sicherheit nie. Aber bald wieder ein neues Buch mit Gedanken zum Wesen unserer Zeit und vielen Fotografien von den Reisen.


Auf der einen Seite erstellen Sie menschenleere Landschaft, auf der anderen Seite Porträts mit Empathie. Sollte man dies als Kontrast verstehen oder als Ergänzung?

Beides ist ein wesentlicher Teil dieser Welt. Das steht gleichberechtigt nebeneinander.


Bilder sind manipulativ, sagen Sie. Welches Bild hat Sie geprägt? Am meisten beeinflusst?

Seit Zeitungen und illustrierten Bilder abdrucken, und das ist gerade einmal 100 Jahre her, haben die Menschen einen völlig anderen Blick auf die Welt. Wurden Inhalte früher durch Worte, also abstrakt übertragen, werden wir heute mit scheinbar objektiven Realitäten konfrontiert. Aber allein die Auswahl dieser Bilder ist natürlich manipulativ. Wir wähnen uns in scheinbarer Objektivität, sind aber ständiger Manipulation ausgesetzt. Das erfordert Medienkompetenz. Durch das Internet hat sich alles noch potenziert. Heute prägen die sozialen Netzwerke unsere Bilderwelt.


Sie wollen ihre Kunst und ihr Kabarett getrennt sehen. Wie sehr ärgert es Sie, wenn die Medien dies nicht schaffen oder gar nicht schaffen wollen?

Gar nicht. Es ist mir einfach eine Freude, beides machen zu können, ohne mir Gedanken über mein ökonomisches Überleben machen zu müssen. Das ist ein großes Privileg. Dass meine Arbeit medial teilweise abstrus rezipiert wird, kann ich nicht ändern. Ich werde in der realen Welt mit großer Freundlichkeit behandelt. Ich erfahre extrem viel Zustimmung. Das freut mich.


Letzte Frage: Wie viele Wortspiele mit ihrem Familiennamen wird es bis zum Ende dieser Dekade noch geben?

Mal sehen, wahrscheinlich keine mehr. Schon mein letztes Programm hieß: kein Scherz. Aber über die Zeit hinweg hat das Wortspiel mit meinem Namen natürlich sehr geholfen, meine Auftritte publik zu machen. Insofern war es gut, und alles hat seine Zeit.







Noch bis zum 22. September sind im Mönchhaus Goslar unter dem Titel „Du denkst an durchfahrene Länder“ Landschaftsbilder und Portraits von Dieter Nuhr zusehen. Die Ausstellung ist dienstags bis sonntags von 11 bis17 Uhr geöffnet.