Freitag, 9. August 2013

Von Cramon: Die Sportverbände sind dazu nicht in der Lage


MdB Viola von Cramon-Taubadel zu den Enthüllungen im deutschen Sport und den Umgang damit.

SeitWochen sorgen die Enthüllungen zu den Doping-Praktiken für viel Aufregung in den deutschen Sportredaktionen und in der Politik. Ich sprach mit Viola von Cramon, sportpolitische Sprecherin der Grünen Bundestagsfraktion und Mitglied im Sportausschuss des Deutsche Bundestags, vor allem über die politischen Folgen dieser Wahrheiten.

Frau von Cramon, angesichts der Enthüllungen über das Doping in Westdeutschland sprechen einige davon, dass der Sport die deutsche Einheit schon in den 70er Jahren vorweggenommen hat. Sehen Sie auch so?

Nein, es gab schon Unterschiede zwischen Ost und West und die hat die Studie heruasugestellt. In der DDR hatten wir ein systematisches, flächendeckendes Doping mit staatlichen Zwang. Es gab den Staatsplan 14.25 und dem konnte man sich nicht entziehen. In der Bundesrepublik hatten wir zwar mehr als Einzelfälle, wir hatten echte Netzwerke aus Sportlern, Trainer und Sportmedizinern. Aber das Doping wurde nicht im selben Ausmaß dokumentiert und wissenschaftlich begleitet. Das Doping im Westen war individueller, es war lokaler und partieller. Aber der Druck, der in einigen Gruppen aufgebaut wurde, war genau so hoch, abhängig von den Sportarten, von den Trainer und den Mediziner. Sich dem zu entziehen, das verlangte Mut und das haben nicht viele geschafft.

Was ist der größere Skandal? Das Doping in Westdeutschland oder der Umgang mit der Studie durch das Bundesinneministerium?

Viola von Cramon hat einige deutliche
Aussagen im Gepäck. Foto: Kügler
Der Umgang mit der Studie ist schlichtweg eine Katastrophe. Über Wochen hinweg wurde die Öffentlichkeit, wurde das Parlament mit immer neuen Ausreden immer wieder zum Narren gehalten. Mal wurden Datenschutzgründe vorgeschoben, mal musste der Haftungsausschluss sichergestellt werden. Ich weigere mich auch, davon zu sprechen, dass die Studie veröffentlicht wurde. Nein, die Forscher wurden dazu verdonnert, still zu sein. Die 804 Seiten, die der Süddeutschen Zeitungen vorliegen, die haben wir im Sportausschuss des Deutschen Bundestags nicht bekommen. Diese 804 Seiten, die möchte ich aber sehen, die möchte ich in den Händen halten, ich möchte die Zeitzeugenberichte lesen, ich möchte wissen, wer involviert war, wer handelnder Akteur war. So lange werde ich keine Ruhe geben.


Was hat die Öffentlichkeit im Moment in der Hand?


Was zugänglich gemacht wurde, das ist die Zusammenfassung mit 117 Seiten. Uns wird vom Bundesinnenministerium suggeriert, das wäre es und nun könnten wir wieder zur Tagesordnung übergehen. So sind wir im Sportausschuss wieder zum Narren gehalten worden. Es wurde gesagt, dass diese 804 Seiten nicht den formalen Anforderungen genügen. 
Dabei haben die Forscher nach besten Wissen und Gewissen ihren Forschungsauftrag erfüllt. 
Sie haben mit mehr als 50 Zeitzeugen, mit Trainern und mit Mediziner gesprochen und eine hervorragendes Dokument erstellt. Nun sagen das Bundesinnenministerium und das Bundesinsitut für Sportwissenschaft: Liebe Forscher, das ist formal nicht in Ordnung, ihr müsst uns eine eingedampfte Version von 120 Seiten liefern. Für das Ministerium ist die Sache damit erledigt.


Aus ihrer Sicht ist es wohl nicht so.

Nein, das ist es nicht und ich denke auch nicht, dass das Ministerium und das BISp diese Sicht  werden halten können. Aber ich vermute, dass wir angesichts der Kandidatur von Thomas Bach für den IOC-Vorsitz noch vier Wochen hingehalten werden, bis wir die ganze Wahrheit erfahren.


Steht in diesen 117 Seiten etwas, was nicht an anderer Stelle schon einmal veröffentlicht wurde?

Es gab auf der Pressekonferenz zum zweiten Zwischenbericht im September 2011 eine Zusammenfassung, in der mehr Details zu finden sind als im aktuellen Abschlussbericht. Diese Zwischenbericht ist noch auf der Website des Sportjournalisten Daniel Drepper zu finden und ort gibt es einige brisante Details und einige Zitate, die auch die Süddeutsche veröffentlicht hat, die nun eben nicht mehr in den offiziellen Materialien zu finden sind.
Es ist natürlich klar, wer 1971 Bundesinnenminister war und mehr Medaillen gefordert hat. Auch die Statements von Wolfgang Schäuble sind ziemlich eindeutig zuzuordnen. Die Behandlung der Angelegenheit durch die Regierung ist misslich und unbefriedigend, aber es liegt an uns Sportpolitikern, das Problem grundlegend anzugehen und uns nicht abspeisen zu lassen.


Gibt es Möglichkeiten, die gesamte Studie einzufordern?

Der mediale Druck ist da sehr hilfreich. Wenn wir die Sondersitzung im September genehmigt bekommen, dann werden auch einige Berichterstatter eingeladen, neben den Sportfunktionären und dem Bundesinnenministern, den Forscher und den Kennenr wie Frau Berendonk, Herr Franke und Professor Treutlein. Das sind alles Menschen, die schon sehr lange in diesem Feld arbeiten. Mit solchen Experten kann man die Fragen angehen, die die Forscher der Humboldt-Universität und der Uni Münster aufgeworfen haben.


Welche Fragen gibt es, die noch beantwortet werden müssen?

Ein wichtiger Punkt ist vor allem die Aktenvernichtung. Da kann schon davon sprechen, dass bei der Vernichtung von Dokumenten mit krimineller Energie vorgegangen wurde. Offensichtlich hat jemand einen Auftrag zu Aktenvernichtung gegeben. Schon zu Beginn der Untersuchungen wurde deutlich, dass ausgerechnet die jüngste Vergangenheit zwischen 1990 und 2007 sehr dünn belegt ist. Trotzdem wurde ein brisanter Bericht erstellt. Deshalb muss es einen Folgeauftrag zur Erforschung geben.
Der organisierte Sport in Deutschland ist derzeit nicht in der Lage, über die eigene Rolle zu refklektieren. Hier brauchen wir unabhängige Experten. Der DOSB hat sich bisher überhaupt nicht an der Studie beteiligt, alles läuft über das BMI. Als erstes muss ein Stopp der Aktenvernichtung eingeleitet werden. Notfalls müssen wir im Rahmen der Sondersitzung versuchen, diese Akten zu rekonstruieren, um auch den Zeitraum ab 1990 zu untersuchen.


Einige Sportverbände wie der DFB haben jegliche Kooperationsbereitschaft vermissen lassen. Wie wollen Sie bei diesen Verbänden ein Umdenken bewirken?


Thomas Bach und der DOSB geraten zunehmend unter
Druck. Foto: Olaf Kosinsky/Wikimedia
Ich glaube, dass der DFB jetzt ein Imageproblem hat und er wird sich nicht lange nachsagen lassen, dass er großflächig Doping angewandt hat. Der beste Gegenbeweis wäre Transparenz und Offenheit. Der leichteste Weg dahin wäre die Bereitstellung von Dokumenten, wäre die Öffnung des Archivs. Auch der Deutsche Skiverband hat sich schwer getan und noch einige andere Verbände. In einem Forschungsfolgeauftrag darf es kein Umschiffen der Probleme geben. Eine schonungslose Offenlegung wie in den vergangenen Wochen in Frankreich, das wünsche ich mir auch für Deutschland.
Ein zweiter Punkt wäre es, mal zu schauen, ob einigen verdienten Funktionären nicht das Bundesverdienstkreuz aberkennen sollte. Dabeispreche ich nicht nur von Joseph Keul.  Das stände uns gut zu Gesicht.
Ein dritter Punkt wäre die Sorge um die Doping-Opfer im Westen. Zum einen müssen hier die Folgeschäden erforscht werden, zum anderen müssen diese Sportler auch finanziell versorgt werden. Wie ich schon einmal für die Doping-Opfer aus Ostdeutschland gefordert habe, brauchen wir keine Entschädigung, die schnell aufgebraucht sein kann, sondern wir brauchen eine Rente.


Brauchen wir eine neue Sportförderung?

Wir brauchen Transparenz in der Forschungsförderung und eine Übersicht über die vergebenen Aufträge. Wir brauchen Klarheit darüber, welche Aufträge in den letzten 30 bis 40 Jahren durch das BMI und das BISp gefördert wurden, wir brauchen Klarheit über den Umfang, die Inhalte und die Ziele dieser Förderung. Ich will wissen, was unsere Sportmediziner mit unseren staatlichen Mitteln machen.
Es geht auch um unsere weltweite Verantwortung. Deutschland ist eine internationale Sportnation, doch das Saubermann-Image müssen wir jetzt revidieren. Wir sind über Jahrezehnte eine führende Dopingforschungsnation gewesen. Nun stünde es uns gut zu Gesicht, die neuen Erkenntnisse mit anderen Nationen zu teilen. Die Konsequenzen, die wir jetzt daraus ziehen, ein echter und ambitionierter Anti-Doping-Kampf, die könnte jemand, der sich gerade als Präsident des IOC bewirbt hervorragend als Wahlkampf-Slogan nutzen. Heidi Schüller war in ihren Aussagen mutig und eindeutig. Alle deutsche Athleten haben bei Olympiade 1976 mitbekommen, was dort gelaufen ist. Nur Thomas Bach will davon nichts mitbekommen haben, das ist wenig glaubwürdig.


Da verlangen Sie aber einen großen Schwenk. Wir reden doch gerade über Personen, die bisher ein Anti-Doping-Gesetz, ähnlich wie in Spanien, Italien oder Frankreich, bisher verhindert haben.

Deswegen ist unser bisherigen Anti-Doping-Kampf auch so unglaubwürdig. Wenn die Anzahl der positiven Funde der Nationalen Anti-Doping-Agentur, der NADA, sich im internationalen Vergleich eher im unteren Drittel befinden, dann liegt dass nicht daran, dass bei uns nicht gedopt wird, wie Herr Bach behauptet. Es lliegt eher daran, dass bei uns so schlecht getestet  und kontrolliert wird. Wahrscheinlich sind die positiven Funde Sportler, die vergessen haben, sich rechtzeitig eine Ausnahmegenehmigung zu besorgen, und die wirklich kritischen Fälle bekommen wir gar nicht mit.


Kommen wir zu der Frage zurück: Was muss sich in der Sportpolitik ändern?

Also, wie gesagt, eine wirklich unabhängige und offene Darlegung des Problems wie im Bericht an den französischen Senat, so etwas stelle ich mir auch für Deutschland vor. Hier wurde mutig berichtet, obwohl es auch in Frankreich eine mächtige Drohkulisse durch die Funktionäre gab. Veröffentlichung der Gesamtstudie, Stopp der Aktenvernichtung und Rekonstruktion der Akten, diese Punkte hatte ich schon genannt.


Gut, das ist die Aufarbeitung. Aber wie sollte Sportförderung organisiert werden. Die Forscher fordern ja den Verzicht auf dasKriterium “Endkampfchance” bei der Förderung der Sportler. Stimmen Sie dem zu?

Es wäre wünschenswert, auch für den vierten oder fünften Platz mehr zu geben. Aber wir bekommen immer zu hören, dies ginge nicht. Es gehe um den Spitzensport und der lasse sich nur anhand von Medaillen messen. Spitzensport hat eine Vorbildfunktion und deshalb müssen wir schauen, welche Verbände Doping-Prävention und gesundheitliche Aufklärung betreiben oder ein nachhaltiges Konzept vorweisen können. Ich möchte keinen Schwenk zum Breitensport, ich möchte aber Transparenz darüber, wie Medaillen und Spitzenleistungen erzielt werden. ‘Das sind doch keine Staatsgeheimnisse. Leider gibt es in den Ministerien und den Verbänden ganz andere Meinungen dazu.
Wir brauchen auch die Möglichkeit, Sportbetrug mit der ordentlichen Gerichtsbarkeit zu verfolgen, neben dem Anti-Doping -Gesetz. Dazu gibt es derzeit eine Initiative aus Baden-Württemberg im Bundestag. Wir müssen uns auf diejenigen beschränken, die über ihren Wettbewerb ihr kommerzielles oder persönliches Interesse  die Fairness im Sport stellen. Sponsoren sollten dann in der Lage sein, Regressforderung an diesen Sportler zu stellen.
Dazu muss die NADA mit einem verlässlichen Etat ausgestattet werden. Ich denke da an 5 Prozent von den 90 Millionen, die der Bund jährlich für zentrale Maßnahmen ausgibt. In Frankreich oder in der Schweiz wird übrigens mehr Geld bereit gestellt


Kann solch eine Herkules-Aufgabe gelingen?

Es ist ein Vorteil, dass die breite Öffentlichkeit nun weiß, wie Doping in Deutschland funktioniert hat. Außerdem haben die Ereignisse dazu geführt, dass die Zusammenarbeit im Parlament besser funktioniert. Vielleicht die Aufregung um die Verzögerung der Studie die positive Nebenwirkung, dass es nun ein breite Basis für grundlegende Änderungen in der Sportförderung gibt.


Frau von Cramon, ich danke Ihnen für das Gespräch. 


Dr. Lutz Knopek zum selben Thema.



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