Wir müssen das Risiko aushalten
Ulrich Kienzle über seinen Versuch, die Araber zu verstehen
Im Dezember 2010 brach der Arabische Frühling aus und die Welt war überrascht. Jahrzehntelang brachte Ulrich Kienzle den Deutschen die Welt des Orients den Deutschen näher. Im Sommer 2011 kam sein Buch "Abschied von 1001 Nacht - Mein Versuch, die Araber zu verstehen" auf dem Markt. Diese Teilbiographie war kein Beitrag zum Arabschen Frühling, machte aber deutlich, nach welchen Mechanismen Politik in der arabischen Welt über Generationen hinweg funktionierte.
Im deutschen Herbst 2011 ging Ulrich Kienzle auf Lesereise und als ich das Angebot bekam, eine Telefoninterview mit ihm zu machen, sagte ich natürlich sofort: JA, aber gerne doch. Immerhin gehört auch Kienzle zu meinen Vorbilder. Das Gespäch dauert eine gute halbe Stunde, verlief sehr stringent und war wohl bepackt mit Informationen und Exkursen, die den Rahmen eines normalen Interviews sprengen würden. Natürlich erinnerte mich der Altmeister auch daran, meine Frage duetlich als solche zu formulieren. Den Satz "Nich Fragen, Kienzle?" konnte ich mir aber verkneifen. Belohnt wurden meine Bemühungen dann mit einer ganz persönlichen Widmung. Seid gewiß,das Buch gebe ich nicht mehr her.
Im deutschen Herbst 2011 ging Ulrich Kienzle auf Lesereise und als ich das Angebot bekam, eine Telefoninterview mit ihm zu machen, sagte ich natürlich sofort: JA, aber gerne doch. Immerhin gehört auch Kienzle zu meinen Vorbilder. Das Gespäch dauert eine gute halbe Stunde, verlief sehr stringent und war wohl bepackt mit Informationen und Exkursen, die den Rahmen eines normalen Interviews sprengen würden. Natürlich erinnerte mich der Altmeister auch daran, meine Frage duetlich als solche zu formulieren. Den Satz "Nich Fragen, Kienzle?" konnte ich mir aber verkneifen. Belohnt wurden meine Bemühungen dann mit einer ganz persönlichen Widmung. Seid gewiß,das Buch gebe ich nicht mehr her.
Kienzle war jahrelang Deutschlands Draht in den Orient. Foto: Verlag |
Herr
Kienzle, Sie haben ihr neuestes Buch „Abschied von 1001 Nacht
genannt. Wer muss hier Abschied nehmen?
Wir
haben in Deutschland ein falsches Bild vom Orient, wobei dieses Bild
zwei Erscheinungsformen hat. Da ist zum einen der bewundernde Blick
auf den Nahen Osten, der zurückgeht auf die Orientfaszination in
Europa des 18. Jahrhunderts. Dies hat durch den Kolonialismus im 19.
Jahrhundert deutlich gewandelt. Seitdem ist für viele Europäer die
arabische Welt gleichbedeutend mit rückständig, gewalttätig und
blutrünstig. Der Umgang mit den Getreuen des Gaddafi-Regimes und mit
Gaddafi selbst scheint diese Auffassung zu bestätigen. Hinzu kommt
in Deutschland eine große Angst vor Islamisten, obwohl die meisten
von Uns den Unterschied zwischen islamisch und islamistisch gar nicht
kennen.
Gibt
denn nicht der Wahlsieg der Ennahdha-Bewegung diesen Befürchtungen
neue Nahrung?
Wir
werden uns daran gewöhnen müssen, dass die Welt islamistischer
wird. Aber man kann die Zahlen auch anders lesen. 60 Prozent der
tunesischen Bevölkerung denken nicht islamistisch. Aber dennoch löst
der Wahlsieg Irritationen aus, denn es schwer verständlich, dass die
Islamisten Sieger einer Revolution sind, die laizistisch begonnen
hat. Andererseits profitieren die Islamisten nach der Verfolgung
durch das alte Regime von ihrem Image als Märtyrer. Zudem hat sich
die Ennahdha-Bewegung ganz praktisch um die sozialen Probleme im Land
gekümmert.
Aber
nach den Aussagen der internationalen Wahlbeobachter sind die Wahlen
fair abgelaufen. Allein dass ist schon ein erstaunlicher Vorgang für
den Maghreb. Die arabische Welt ist noch immer keine lupenreine
Demokratie. Aber es herrscht nicht mehr die Gewalt und wahrscheinlich
müssen das Risiko des neuen Orient ausprobieren. Die moslemischen
Parteien müssen nun zeigen, dass sie regieren können. Das größte
Problem wird dabei die enorme Arbeitslosigkeit sein. Schauen Sie, die
Türkei hat sich ja auch weiterentwickelt.
Wo
sehen Sie die Parallelen zur Türkei?
Am
Beginn seiner Regierungszeit war Ministerpräsident Erdogan vielen
Politikern im Westen suspekt. Bei einigen stand er unter dem Verdacht
des Islamisten und vielleicht war das auch. Aber die Türkei ist in
der Region in einiger Hinsicht ein Vorbild. Und ich denke, dass die
türkische Politik gar nicht so sehr nach Europa schauen wird,
sondern in den Nahen Osten. Wie gesagt, die Türkei ist ein Vorbild
für viele Staaten in der Region und als Brücke zur islamischen Welt
auch ein Gewinner der Entwicklung. Israel hingegen ist nun in einer
schwereren Lage, denn die Regierungen der zukünftigen arabischen
Demokratien werden sicher in der Israel-Frage auch den Druck der
eigenen Bevölkerung verspüren.
Welcher
der arabischen Staaten hat ihrer Meinung nach die besten Chancen?
Wenn
man nur die ökonomischen Daten schaut, dann hat Libyen die besten
Chancen, denn es verfügt über enorme Ölvorräte. Aber Libyen ist
ein Sonderfall, denn es ist im Grunde genommen ein Gespensterstaat
ohne organisierte Verwaltung. Muammar al-Gaddafi hat seine Macht auf
wenige Stämme begründet und er hat sich selbst und auch wohl
überlegt immer als der „erste Bruder“ bezeichnet. Und da ist zum
Anderen das Problem, 40 verschiedene Milizen unter Kontrolle zu
halten. Wenn ich an den Tod Gaddaffis denke und an das Massaker unter
seinen Anhängern, dann habe ich schon Zweifel am rechtsstaatlichen
Handeln der neuen Führung. Auch die Zurschaustellung der Leichen
scheint alte Vorbehalte zu bestätigen. Aber einen Hoffnungsschimmer
gibt es immer.
In
ihrem Buch schildern sie die Niederschlagung der Brotunruhen auf dem
Tahrir-Platz in Kairo 1977, die sie aus nächster Nähe miterleben
haben. 34 Jahre später siegt die Revolution in wenigen Wochen. Was
sind die Unterschiede?
Als
die Demonstranten den Tahrir-Platz besetzten, sagte ich zu meiner
Frau, dass der Aufstand wohl wie 1977 schon in wenigen Tagen beendet
sein wird. Aber wir müssen unsere Vorstellungen ändern. Wir haben
es in der arabischen Welt mit jungen Menschen zu tun, die wollen das
die islamische Welt den Anschluss an das 21. Jahrhundert schafft. Und diese
jungen Menschen wollen das selbe wie wir Europäer, nämlich
Freiheit, Menschenrechte und Demokratie, und sie wollen sichere
Lebensverhältnisse. Ich war selbst ein wenig erstaunt, denn schauen
Sie mal, Aiman al-Zawahiri, die Nummer Eins der al-Quaida, hat 30
Jahre lang versucht, das Regime von Mubarak zu stürzen und es nicht
geschafft. Die jungen Menschen vom Tahrir-Platz haben dies innerhalb
von 18 Tagen geschafft.
In
ihrer Autobiografie schildern Sie, wie die ägyptische Regierung 1973
ihre Berichte aus dem Yom-Kippur-Krieg einfach weggeschlossen. Ist
das heute noch möglich?
Nein,
das ist schon technisch nicht möglich. Damals mussten die Filme noch
ausgeflogen werden, heute gibt es lauter Satelliten für die
Übertragung. So hat al-Dschasira viele Verkrustungen
aufgebrochen. Der Sender hat sicherlich auch umstrittene Seiten, aber
er hat doch für ein gr0ßes Bedürfnis nach Information und
Transparenz in der Region gesorgt.
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